PISA - diesmal innerdeutsch
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Die Betrachtung der PISA-Studie erfolgt diesmal innerdeutsch, also im Vergleich der Bundesländer. Ich beziehe mich auf einen Beitrag von Professor Dr. Heiner Rindermann auf der Seite „Tichys Einblick“.

Rindermann nennt mehrere Zusammenhänge, die das Abschneiden beim innerdeutschen PISA-Vergleich beeinflussen:

  1. Die stärkere Ausprägung gesellschaftlicher Krisenphänomene (z. B. staatliche und private Verschuldung, hohe Arbeitslosenquote, hoher Anteil an Sozialhilfeempfängern, höhere Kriminalität ) sorgt für schlechtere Ergebnisse in kognitiven Schülertests.
  2. Die bürgerlich-traditionelle Leistungsorientierung in Form von Zentralabitur, gegliedertem Schulsystem, Disziplin, hohem Anforderungsniveau und lehrerzentriertem Unterricht führt zu einem besseren Abschneiden und damit verbunden zu höheren kognitiven Fähigkeiten.
  3. Eine hohe Abiturientenquote sorgt für schlechtere Ergebnisse im Abitur.
  4. Langfristige konservative Mehrheiten in den Bundesländern sorgen am ehesten für o. g. bürgerlich-traditionelle Leistungsorientierung.
  5. Mit steigendem Anteil an Migranten verschlechtern sich die Ergebnisse. Entscheidend scheint zu sein, aus welchen Ländern die Migranten zuziehen.

Ein paar Kommentare möchte ich dazu abgeben.

zu 1: Professor Rindermann benennt diese Krisenphänomene als deprimierende Faktoren in der Anstrengung, sich zu bilden. Meiner Meinung nach ist das einerseits häufig beobachtbar, anderseits aber auch zu kurz gegriffen. Ich höre sehr oft das Argument: „Kein Wunder bei diesem Elternhaus.“ Klar ist, dass Eltern die Hauptverantwortung für ihre Kinder tragen, gleichzeitig ist es aber auch so, dass die Jungen und Mädchen einen großen Teil ihres Tages (insbesondere in den Ganztagsschulen) eben unter der Obhut der Lehrer verbringen. Im Zusammenspiel mit bspw. Schulsozialarbeiterinnen haben wir als Schule viel Gestaltungsspielraum, bürgerlich-traditionelle und damit dem Humboldtschen Bildungsideal entsprechende Werte zu vermitteln. Ein wesentlicher Hinderungsgrund ist hier die falsche Ausgestaltung der Schulgesetze in der Praxis.

zu 2: Ich stimme zu, auch auf die Gefahr hin, als „alter und verkrusteter ewig Gestriger“ zu gelten. Die neumodischen Ansätze in der Pädagogik, Didaktik und vor allem in der Fachlichkeit des Unterrichts haben zu Fehlentwicklungen geführt, die erst in vielen Jahren wieder ausgemerzt werden können. Ich denke noch mit Grauen an das Prinzip „Schreiben, wie man es spricht“, welches viele Jahre in Grundschulen in NRW praktiziert wurde. Das hat man abgeschafft, dafür aber mittlerweile den Wettkampf in den Sportarten Leichtathletik und Schwimmen bei den Bundesjugendspielen der Klassen 1 bis 4 verboten. Ja, Sie haben richtig gehört: Es ist nur noch der Wettbewerb erlaubt:

Unter Wettbewerb verstehen wir einen alters- sowie entwicklungsgemäßen und damit am Kind orientierten Vielseitigkeitswettbewerb in einer der drei Sportarten. Es handelt sich bei der Wettbewerbsform um nicht-normierte Übungen, welche sich an den Bedürfnissen der Kinder und die örtlichen Gegebenheiten anpassen lassen.

https://www.schulsport-nrw.de/fileadmin/user_upload/Ausschreibung_Bundesjugendspiele_2023_2024.pdf

Noch ein Wort zum lehrerzentrierten Unterricht. Zunächst ist er definiert dadurch, dass alle wesentlichen Impulse, Aktionen und Entscheidungen von der Lehrperson ausgehen. Im Gegensatz dazu baut der schülerzentrierte Unterricht auf die Interessen, Fragen, Impulse und Aktionen der Schülerinnen und Schüler.

Lehrerzentrierter Unterricht kennzeichnet sich durch ein deutliches Kompetenzgefälle zwischen Lehrendem und Lernenden, das aus dem alters- und / oder ausbildungsbedingten Wissens- und Methodenvorsprung resultiert. Er nutzt diesen Vorsprung, um die Lernenden auf ein zu eigener Kritik fähiges Wissensniveau zu bringen. Dabei werden die Lernenden zunächst überwiegend rezeptiv gefordert. Dies bedeutet keineswegs, dass die Stoffaufnahme unreflektiert erfolgt.

https://de.wikipedia.org/wiki/Lehrerzentrierter_Unterricht

Charakteristische Sozialformen für das Schülerzentrierte Unterrichten sind der Sitzkreis, eine ringförmige Stuhlanordnung, bei der alle Lernenden einander zugewandt sind, oder die Aufteilung in verschiedene (meist arbeitsteilige) Kleingruppen. Die Lehrkraft begleitet das Lerngeschehen, nachdem sie das methodische Arrangement getroffen hat, von außerhalb. Sie kann hinzugezogen werden, wenn die Lernenden Rat oder Hilfe von sich aus in Anspruch nehmen wollen. Der Lehrer hält sich zurück und drängt sich nicht auf.

https://de.wikipedia.org/wiki/Schülerzentrierter_Unterricht

Beide Grundideen haben ihre Vor- und Nachteile. Die einseitige Propagierung des schülerzentrierten Unterrichts ist durch nichts begründbar. Die negative Konnotation, dass der lehrerzentrierte Unterricht gleichzusetzen ist mit Distanz oder einem autoritären Führungsstil, ist nicht mehr nachvollziehbar. Autorität und professionelle Distanz zu den Schülerinnen und Schülern sind sogar notwendige Voraussetzung für erfolgreiches Lernen. Beides schließt den Aufbau einer notwendigen Lehrer-Schüler-Beziehung nicht aus. Kinder brauchen Leitbilder und Menschen, die ihnen den Weg weisen. Das hat mittels „Könntest du dir vorstellen …?“ oder „Was möchtest du denn heute machen?“ noch nie funktioniert.

Ein Wort noch zu den „Lernbegleitern“ im schülerzentrierten Unterricht. Ich empfinde dieses Wort als diffamierend und abwertend. Selbst im schülerzentrierten Unterricht entscheidet der Lehrer, was grundsätzlich gemacht wird. Dafür wurden (und werden?) wir im Rahmen eines universitären bzw. Hochschulstudiums ausgebildet. Die zentrale Figur im Unterricht ist und bleibt der Lehrer.

Noch ein Wort zum Begriff „Lehrende“, der im Rahmen der „gendergerechten Sprache“ als geschlechtsneutraler Ersatz für das (früher?) übliche „Lehrerinnen und Lehrer“ inflationär um sich greift. Damit ich mich „Lehrer“ – so die korrekte Berufsbezeichnung – nennen darf, habe ich ein fünfjähriges Studium und einen zweijährigen Vorbereitungsdienst absolviert, in deren Ergebnis ich Staatsexamina erhalten habe. Der Begriff „Lehrende“ umfasst eine ganze Gruppe von Menschen, die auf verschiedenen Ebenen anderen Menschen etwas beibringen, so z. B. Kursleiter in der Volkshochschule oder ein Abiturient, der Nachhilfestunden gibt. Ohne deren Arbeit herabzuwürdigen, möchte ich dennoch mit diesen Lehrenden sprachlich nicht auf eine Stufe gestellt werden. Das ist verglichen mit den „Lernbegleitern“ eine ebenso abwertende Bezeichnung für Menschen meines Standes. Übrigens gilt dies auch für andere neumodische (weil angeblich geschlechtersensible) Bezeichnungen. Denken Sie bspw. an „Forschende“ als Synonym für wissenschaftliche Mitarbeiter, Doktoren oder Professoren an Universitäten, die hier mit dem dreijährigen Sohn meines Freundes verglichen werden, dessen Forscherdrang mindestens genauso groß ist. Sie finden das übertrieben? Dann fragen Sie sich bitte, warum man in der Werbung „… fragen Sie Ihren Arzt oder Ihre Ärztin …“ formuliert, wo doch „Heilende“ auch gehen würde. Weiter heißt es übrigens „… oder in ihrer Apotheke …“, was mir die Möglichkeit lässt, die dortige Reinigungskraft nach ihrer (fachlichen?) Meinung zu dem einen oder anderen Medikament zu fragen. Wo sind eigentlich unsere Sprachwissenschaftler, die diesem Unsinn Einhalt gebieten?

zu 3: Leider muss ich in meiner Unterrichtspraxis immer wieder feststellen, dass Leistungsbereitschaft und -fähigkeit sinken. Wie steuert man hier gegen? Ist die Absenkung der Anforderungen oder das Aufweichen der Bewertungskriterien eine gute Idee? Ich glaube nicht. Wir müssen sicher neue Wege gehen, aber dass sich Schule und Niveau den Kindern anpasst, ist ganz sicher falsch.

zu 4: Es ist kein Zufall, dass Bayern und Sachsen, in denen seit vielen Jahren konservative Parteien regieren, bei PISA – diesmal innerdeutsch besser abschneiden als andere Bundesländer. Im Falle Baden-Württembergs ist deutlich zu erkennen, dass seit der Regierungsübernahme durch die Grünen die Leistungen der Schülerinnen und Schüler kontinuierlich gesunken sind. Dieses Phänomen beschreibt nicht nur Prof. Rindermann, es wurde auch anderweitig bereits diskutiert.

zu 5: Jetzt kommt das „heiße Eisen“ Migration. Unsere Regierung (ganz gleich, welche) hat es versäumt (und tut es noch immer), klare Regeln für die Migration aufzustellen. Gleichzeitig werden die Kommunen und auch die Schulen mit der Problematik größtenteils allein gelassen. Eines der Hauptprobleme aus schulischer Sicht ist die mangelhafte Beherrschung der deutschen Sprache. Wer ist zuständig? Natürlich die Schulen, da diese Kinder nunmal dank der Schulpflicht ohnehin dort sind. Wie wir das hinbekommen, interessiert die Politik herzlich wenig. Im Idealfall können die Kinder nach zwei Jahren Erstförderung so gut Deutsch, dass sie einigermaßen klar kommen. Allumfassende Sprachkenntnisse sehen dennoch anders aus. Ach ja: Ab jetzt haben wir Dolmetscher für die Eltern dieser Kinder. Super! Die Probleme, die durch das Zusammentreffen von Menschen aus unterschiedlichen Kulturen und mit unterschiedlichen Wertvorstellungen, die nicht immer zu den unsrigen passen, entstehen, möchte ich an dieser Stelle nicht erörtern. Es ist aber ein wichtiger Bereich, der offiziell sicher weit weniger problembeladen dargestellt wird, als es in der Wirklichkeit ist.

Ich möchte den Beitrag nicht ohne Fazit und Lösungsideen schließen.

In meinem Beitrag zu den Schulprogrammen der Parteien habe ich bereits deutlich gemacht, dass die Parteien im Wahlkampf (Landespolitik) fast schon händeringend Themen suchen, wo es überhaupt noch etwas zu gestalten gibt. Kulturpolitik oder Landes- und Regionalplanung sind naturgemäß nicht so öffentlichkeitswirksam wie die Schulpolitik, allein schon deshalb, weil deutlich mehr Menschen von ihr betroffen sind. Leider führt das im Rahmen eines gewissen Profilierungswahns zu eklatanten Fehlentscheidungen. Ich habe im Beitrag zur Ganztagsschule eine dieser Fehlentwicklungen erörtert und im Beitrag zum Humboldtschen Bildungsideal die Ökonomisieren der Bildung kritisiert. Obendrauf noch der Lehrermangel – ebenfalls ein Beispiel für politisches Versagen – und das Unheil nimmt seinen Lauf.

Es gibt Möglichkeiten, das Bildungswesen zu verbessern, die davon abhängen, ob Politiker bereit sind, gemeinsam und damit unabhängig vom Parteibuch zu handeln, auch wenn es bedeutet, Wählerstimmen zu verlieren. Jeder politische Entscheidungsträger muss bereit sein, gute Ideen der anderen Parteien wohlwollend anzunehmen und im Rahmen eines Bildungskonsens‘ eine gemeinsame Idee von humanistischer Bildung im Sinne Humboldts zu entwickeln. Dann – und nur dann – kann Bildung gelingen. Das Gegeneinander der Parteien, die Ideologisierung der Schulpolitik und das permanente Ausgrenzen von Ideen der „falschen Partei“ bringen nur weitere Unruhe und Unsicherheit zu Lasten der Kinder in unser Bildungssystem.

PISA – diesmal innerdeutsch ist reich an Erkenntnissen. Nun mangelt es nur noch an Menschen, die sich der Aufgabe wahrhaft und im Sinne unserer Kinder stellen.

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Von sp

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