Früher war alles besser
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Früher war alles besser – wer hat diesen Spruch nicht schon gehört oder selbst ausgesprochen? Scheinbar gilt er zudem seit vielen Generationen.

Bleiben wir beim Thema Schule. Schule und insbesondere Lehrkräfte sehen sich heute immer stärkerer Kritik ausgesetzt. Nicht zuletzt werden Lehrer für das Scheitern der Kinder in der Schule (mit)verantwortlich gemacht.

Betrachten wir Schule früher und heute etwas genauer aus der Sicht eines Lehrers, mit dem ich mich unterhielt.

Schule als oszillierendes System

Meine Mutter und andere Verwandte aus der im Krieg geborenen und in den 60er Jahren zur Schule gegangenen Generation berichten von Schule als einem Ort der Angst. Kriegstraumatisierte Männer als Lehrer, körperliche Bestrafung obwohl längst verboten, der berüchtigte fliegende Schlüsselbund…

Natürlich längst nicht flächendeckend und mit Ausnahmen wie der jungen Pianistin, die ganze Klassen an der Mädchenschule als Vorbild zu begeistern vermochte, aber soweit erwähnenswert, dass mehrere meiner Lehrer in den 80er Jahren gezielt und ausdrücklich darauf hingearbeitet haben, dass Kinder ohne Angstblockaden Lehrstoff aufnehmen und Leistung zeigen konnten.

Ich sehe das als Beleg dafür, dass Schule in der Nachkriegszeit für viele Kinderseelen nicht gesund war und in der folgenden Generation eine Not-wendige Gegenbewegung durch einige kluge, den Kindern zugewandte Lehrer einsetzte, Stärken zu fördern, Schüchterne zu ermutigen etc.

Das zeigte bestimmt Erfolg und wurde – so meine Vermutung – unreflektiert von den weniger klugen Kollegen pauschal als Allheilmittel ins Absurde getrieben und auf alle Kinder angewandt, auch auf die, die eine gute, alte, kurze Leine gebraucht hätten.

Die Ausgangssituation ist ein ernstzunehmender Missstand, ein paar Vorreiter werden aktiv, machen das Problem publik, notwendige und hilfreiche Maßnahmen werden ergriffen, dann erfolgt eine feindliche Übernahme der erfolreichen Bewegung oder die stupide Meute springt aus Bequemlichkeit und/oder Profitgier auf den Zug auf und der ursprünglich gute Gedanke wird pervertiert und schafft einen neuen Missstand. Das System übersteuert.

Das Schema lässt sich in mehreren Bereichen beobachten: Vom Angst-Regime über ein paar Jahre ganzheitliches Menschenbild zum „verlinkesten“ Schulsystem (dazu später mehr), von vergifteten Gewässern und Smog über ein paar Jahre bewusste Lebensführung zu Windparks, vom Vietnamkrieg über Woodstock zur Fentanylkrise, von nuklearem Wettrüsten über Friedensdemos zu Baerbock.

Ideologien

Ideologien im Sinne von Systemen sozialer Normen, Lebensphilosophien oder Weltanschauungen sind nach meinem Verständnis per se wertneutral, weil sie erst das Axiomensystem bilden, das eine Bewertung erlaubt.

Da ich als Basis ein wissenschaftliches Paradigma wähle, muss ich bereit sein, sehr weit kritisch zu hinterfragen und anzuzweifeln. Das führt unweigerlich zu der Einsicht, dass meine Ansichten nicht allgemeingültig und möglicherweise fehlerhaft sind. Entsprechend muss ich auch anderen zugestehen, dass sie in ihrem ideologischen System zu gänzlich anderen Bewertungen kommen, ohne sie dafür abwerten oder verurteilen zu können.

Wenn einem Anhänger des Kalifats die Unbestimmheit einer nicht göttlich vorgezeichneten Welt unerträglich ist und er persönlicher Freiheit keinen Wert beimisst, dann stehe ich ihm und seinem Messer vielleicht im Interessenkonflikt gegenüber, nicht jedoch moralisch überlegen. In dem Zusammenhang finde ich es schade, dass „ideologisch“ zum diskreditierenden Kampfbegriff verkommen ist.

Es gibt kaum etwas Ideologiefreies, da jeder in ein ideologisches System hineingeboren wird. Die mit der Muttermilch aufgesogenen Ideen und Ideale sind nur besonders schwierig zu hinterfragen. Auch an den ideologischen Strömungen im Schulsystem vor 50 Jahren gibt es Kritikpunkte: Die Altsprachler sind in der Vergangenheit verhaftet zulasten der Zukunft, die Kapitalisten vernachlässigen die Nächstenliebe zugunsten des fortschrittbringenden Wettbewerbs, die verkopften Naturwissenschaftler tendieren dazu, das Bedürfnis nach spiritueller Bindung zu ignorieren u.s.w..

Folglich muss man bei Kritik am „ideologisierten Schulsystem“ konkret werden: Gleichmacherei wird als Gerechtigkeit verkauft, Manipulation als Informiertheit, durchsetzungsschwach als schülerbezogen, Erziehung zur Unselbständigkeit als Unterstützung usw. Darüber können wir diskutieren, das möchte ich aber nicht als „linksgrün“ pauschalisieren.

Post-ideologische Gesellschaft

Ideologie kann man mit Ideenlehre übersetzen. Gemeint ist eine bestimmte Weltanschauung, die jemand oder eine Gruppe von Menschen hat. Daran gibt es in der Tat zunächst nichts zu kritisieren.

Entgegensetzten könnte man, dass Marx und Engels den Begriff anders definiert haben. Sie legen die Ideologie als Machtfaktor fest, der sich nicht an Beweisbarem oder an guten Argumenten orientiert. In diesem Sinne wird das Wort heute häufig gebraucht.

Noch ein Gedanke: Die Gegenwart (nach Nazionalsozialismus und Sozialismus/Kommunismus) als post-ideologisch und damit frei von Ideologie zu bezeichnen, ist streng genommen auch eine Ideologie.

Wir drehen uns im Kreis…

War Schule früher besser?

Die Beantwortung dieser Frage hängt ganz sicher davon ab, was man als „früher“ definiert. Der erste Teil des obigen Zitats verdeutlicht das.

Worauf ich hinaus möchte, ist der Vergleich des Schulsystems in der Zeit vor 2000 und heute. Warum vor 2000? Das ist schnell beantwortet: 2000 war das „PISA-Schock-Jahr“ (die Veröffentlichung der Studienergebnisse Ende 2001 bezieht sich auf den PISA-Test im Jahr 2000).

Es ist schwer, Außenstehenden zu vermitteln, was sich geändert hat. Ein erstes Argument ist immer, dass die Kinder heute anders sind als damals. Das gilt zwangsläufig fortwährend. Allerdings sehe ich persönlich eine Entwicklung „dank“ der Smartphones usw., die deutlich akzelerierter ist, als die Veränderungen in der Lebenswelt, die bspw. das Fernsehen hervorgebracht hat. Vielen Mitgliedern unserer Gesellschaft fehlt es mittlerweile an Ruhe und Ausgeglichenheit, die unsere Kinder benötigen. Statt dessen werden die Kinder in die Hektik mit hineingezogen.

Statista erfasst die Nutzungsdauer 2023 mit 177 min bei den 16- bis 29-jährigen, wohingegen die 50- bis 64-jährigen 144 min ihr Smartphone nutzen. Die Kinder unter 16 Jahren sind nicht erfasst. Wieso, erschließt sich mir nicht, wo doch mittlerweile bereits Grundschulkinder teilweise ein Smartphone besitzen.

Ein weiteres Argument ist der Unterricht in der Schule. Es gab ein Umdenken Richtung „schülerorientiert“. Leider – und damit folge ich den Aussagen im Zitat – wird Gleichmacherei als Gerechtigkeit, Manipulation als Informiertheit, durchsetzungsschwach als schülerbezogen, Erziehung zur Unselbständigkeit als Unterstützung usw. verkauft.

Schule ist immer ein Produkt der aktuell herrschenden Politiker. Vor allem die SPD hat die Gesamtschule durchgedrückt, sobald die CDU regiert, wird das dreigliedrige System wieder gestärkt. Die Gesamtschulen aber bleiben, so dass mittlerweile in einigen Kommunen heilloses Durcheinander herrscht. Hinzu kommt der Umgang mit den PISA-Ergebnissen. Dieser hat uns die „kompetenzorientierten Lehrpläne“ eingebrockt, deren Grundidee es ist, Bildung in „Häppchen“ zu zerlegen, so dass der Bildungserfolg via Checkliste eruiert werden kann.

Früher (in den 80er und 90er Jahren) – und damit zurück zur Eingangsthematik – war Schule vermutlich besser. Es gab das dreigliedrige Schulsystem, Bildung wurde ganzheitlich und als Prozess betrachtet, die Lehrpläne waren konkret. Lehrer waren keine Mangelware (zwischenzeitlich in einigen Fächern schon), so dass es eine Bestenauslese gab. Die Kinder waren im Allgemeinen besser erzogen, die Wertevermittlung funktionierte. Ja, bevor Widerspruch kommt, es gab immer die Schüler, die man heute als „herausfordernd“ bezeichnet, aber die Zusammenarbeit mit den Elternhäusern war auch bei diesen Problemfällen deutlich besser.

Heute wird – politisch gewollt – alles mögliche auf die Schulen abgewälzt. Nicht zuletzt die flächendeckende Einführung der Ganztagsschulen ist ein eindeutiges Signal in Richtung der Wähler – oh Verzeihung! – der Eltern. Mittlerweile nehmen Eltern wahr, dass sie sich eigentlich gar nicht mehr um schulische Belange kümmern müssen. Die Hausaufgaben sind zugunsten von Lernzeiten oder SegeL-Stunden (Selbstgesteuertes Lernen – was für eine Idiotie!) abgeschafft, Lernen und Üben zu Hause hat deutlich an Bedeutung verloren. Schule ist – ja das klingt hart – verkommen zu einer Aufbewahrungsanstalt für die Kinder der Eltern, die all ihre Zeit ins Geldverdienen stecken, um mithalten zu können. Ja, ich weiß: Es gibt Familien, da ist es wirklich knapp. Hier wäre doch aber die Frage zu stellen, woran das liegt, statt an den Symptomen herumzudoktern und den Kindern jede Chance auf eine normale Kindheit zu nehmen.

Strenge vs. Angst

Ein ebenfalls oben angesprochenes Thema ist die Frage nach dem Erziehungsstil. Laufen Autorität und Zuwendung zu den Kindern gegeneinander? Bedeutet Erziehung, Angst zu verbreiten? Wo ist die Grenze?

Die Beantwortung dieser Frage ist nicht ganz einfach, da Erziehung etwas mit der eigenen Persönlichkeit – die letztlich auch durch Erziehung geformt wurde – zu tun hat, eine Art selbsterfüllende Prophezeiung sozusagen.

Kinder benötigen Anleitung und Zuwendung. Nur so kann sich die Psyche normal entwickeln. Die große Kunst des Lehrers besteht darin, diese Ambivalenz für sich selbst aufzulösen und maßvoll zu erziehen sowie die nötige professionelle Distanz zu wahren.

Laissez-faire ist keine Option, wird aber schulisch – und nicht nur dort – häufig angewendet. In Hochpotenz findet sich dieser „(Nicht-)Erziehungsstil“ bspw. in der ungeregelten Überlassung digitaler Medien oder im autonomen Lernen, womit klar ist, dass der Lernprozess ebenfalls ein Teil der Erziehung ist, nicht nur mit dem Blick auf Mündigkeit, sondern auch mit einer Betrachtung der immer wieder notwendigen Anleitungen zu strukturiertem Arbeiten, sauberer Heftführung usw.

Müssen Kinder Angst haben? Nein! Solange man Angst nicht mit Respekt gleichsetzt, gibt es hier kein Problem. Strenge und enge Führung haben noch niemandem geschadet. Für wichtig erachte ich es, bei der Wahl der Mittel das Alter und den individuellen Entwicklungsstand der Kinder zu beachten.

Früher war alles besser? Wohl kaum, es war schlicht anders.

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Von sp

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