Lehrer werden ist nicht schwer
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… Lehrer sein dagegen sehr. Weil ich Wilhelm Busch für einen guten Dichter halte, habe ich mir erlaubt, den Beginn seines Gedichtes etwas „anzupassen“.

Die Phrase lässt einiges an interpretatorischem Spielraum zu. Dann fangen wir mal an.

Versuchen wir es mit etwas, was der Ingenieur „reverse engineering“ nennt, nämlich vom Anforderungsprofil eines Lehrers in der heutigen Zeit auf notwendige Bausteine seiner Ausbildung zu schließen. Zu Beginn meines Studiums hieß es, der Beruf des Lehrers sei wegen der Fülle der zu erlernenden Fähigkeiten – ich vermeide, wo es geht, von Kompetenzen zu sprechen1 – faktisch nicht studierbar.

Lehrer werden ist nicht schwer – Anforderungen

Was sollte ein Lehrer heutzutage in Studium und Vorbereitungsdienst erlernen, um langfristig unter Hinzunahme der Erfahrungen im Beruf zu bestehen?

  1. hervorragende fachliche Ausbildung in den Fächern
  2. umfassende Kenntnisse in Methodik und Didaktik
  3. Studium der Pädagogik
  4. grundlegende Kenntnisse der Kinder- und Jugendpsychologie

Unter Punkt 1 fasse ich alles zusammen, was fachwissenschaftlich vermittelt werden muss. Ein Lehrer sollte sein Fach vollkommen durchdrungen haben und souverän den Stoff beherrschen – ja, auch weit über dem, was er jemals in der Schule vermitteln wird. Begleitende wissenschaftliche Praktika gehören hier gegebenenfalls dazu. Ich erinnere mich an die Experimentalphysik, bei der ich Versuche gemacht habe, umfangreiche Vorbetrachtungen erstellte und Fehlerananlyse schrieb, die länger war, als alles andere zusammen. Keines dieser Experimente war von unterrichtlicher Relevanz, es handelte sich ausschließlich um höhere Physik. Braucht man nicht? Doch! Hier habe ich wissenschaftliches Arbeiten auf höchstem Niveau erlernt, welches ich heruntergebrochen auf die Fähigkeiten der Kinder in der Schule sehr gut anwenden kann.

Der zweite Punkt schafft die Verknüpfung zwischen Universität und Praxis in der Schule. So musste ich beispielsweise in den Stundenvorbereitungen den zu vermittelnden Stoff aus der höheren Mathematik ableiten und fachlich begründen, unter welchen Rahmenbedingungen diese Vereinfachung erfolgt und dass sie möglich ist. So dienten beispielsweise die Peano-Axiome dazu, die natürlichen Zahlen einzuführen und die Thematik des Nachfolgers zu vermitteln. Ähnliche Ableitungen erfolgten bspw. für die Grundrechenarten. Im Physikunterricht der Realschule taucht der Begriff der Geschwindigkeit als erste Ableitung des Weges nach der Zeit nicht auf. Dennoch basieren die Bildungsinhalte genau darauf, sind trotz der Vereinfachungen fachlich richtig. Die Bedingungen, unter denen das möglich ist, werden im Schulunterricht oft gar nicht thematisiert, die Lehrer müssen aber Klarheit darüber haben, wie die Zusammenhänge sind (s. Punkt 1 – hier schließt sich der Kreis).

Die moderne Pädagogik (Punkt 3) untersucht Zusammenhänge zwischen Bildung und Erziehung und erarbeitet darauf basierend Vorschläge. Bildung ohne Erziehung gibt es nicht. Die Frage ist also, wie man beides sinnvoll verknüpfen kann.

Wer mit Kindern und Jugendlichen arbeitet, sollte grundlegende Kenntnisse (Punkt 4) über deren psychische Entwicklung haben. Dieser Teilbereich der Psychiologie nimmt Entwicklung und Verhalten Heranwachsender in den Blick und schaut auf soziale (z. B. Familie), psychische (z. B. neue Denkmuster) und biologische (z. B. körperliche Veränderungen in der Pubertät) Veränderungen. Welches Verhalten den Kindern gegenüber ist altersgemäß? Was brauchen Kinder für ihre psychische Entwicklung?

Wenn ich mir ansehe, wie junge Menschen heute für ein Lehramtsstudium begeistert werden sollen, dann rollen sich mir die Fußnägel hoch. Meine Ansichten dazu finden Sie in diesem Artikel.

Aufbau des Studiums

Ich möchte exemplarisch den Aufbau des Studienganges an der Uni Münster vorstellen:

Für Haupt-, Real-, Sekundar- und Gesamtschulen sind die Studiengänge wie folgt strukturiert:

Konkreter kann ich an dieser Stelle nicht werden. Was bedeutet „Fach1/2“? Sind hier die fachdidaktischen Aspekte enthalten oder handelt es sich um reine Fachstudiengänge? Die Fachdidaktik wird nämlich nicht explizit genannt. Gibt es Kurse für Psychologie? Eher nicht…

Alltag an einer Ganztagsschule

Die folgenden Ausführungen sind teilweise nicht allgemeingültig. Es gibt Vorgaben für Ganztagsschulen, die immer gelten. Dennoch ist aufgrund von Lage oder Heterogenität der Schülerschaft jede Schule etwas anders.

Ganztag bedeutet, dass an mindestens drei Tagen Unterricht von 08:00 Uhr bis mindestens 15:00 Uhr erteilt wird. Da dadurch die Zahl der Unterrichtsstunden, die zur Verfügung stehen höher ist, gibt es sogenannte ergänzende Unterrichtsangebote in den Bereichen soziales Lernen und individuelle Förderung. Lernzeiten ersetzen die klassischen Hausaufgaben. An den Ganztagen gibt es eine Mittagspause, die mindestens 50 Minuten dauert.

Auf dem Papier sieht das alles gut aus, Eltern entscheiden sich aus verschiedenen Gründen bewusst für die Ganztagsschule. Einer der Gründe ist, dass die Kinder zu Hause wenig bis gar nicht angehalten sind, sich mit Schule beschäftigen zu müssen, sehen wir von Vorbereitungen auf Tests und Klassenarbeiten ab. Dies führt letztlich dazu, dass die Schultasche außerhalb der Schulzeit gar nicht mehr angesehen wird. Eine Vorbereitung auf den Unterricht findet zu Hause faktisch nicht statt.

Das Signal an die Eltern ist, dass es ein Rundum-Sorglos-Paket gibt, welches den Eindruck erweckt, dass die Schule alle Aufgaben übernimmt.

Es gibt viele Ideen, wie man die Schüler motivieren soll, einen langen Ganztag durchzuhalten. Es gibt die oben beschriebene Mittagspause, die ebenfalls bereits genannten Zusatzangebote sollten im Nachmittag eingeplant werden. Was auch immer man macht, am Ende bleibt es Unterricht, zumindest in der Wahrnehmung der Schüler. Hinzu kommt, dass es insbesondere den Jüngeren sehr schwerfällt, die Konzentration über eine Spanne von 7,5 Zeitstunden – bei uns gehen die Ganztage von 08:00 Uhr bis 15:25 Uhr – die Konzentration zu halten. Übrigens gilt letzteres auch für die Lehrer. Das mag seltsam klingen, da die meisten Arbeitnehmer eine ähnlich lange Tagesarbeitszeit haben. Für Lehrer ist es aber etwas anders. Der Umgang mit den Kindern, so wie wir sie heute vorfinden, ist deutlich anstrengender, als bspw. in einem Büro in Ruhe seinen Aufgaben nachgehen zu können. Die täglichen Unterrichtsvor- und Nachbereitungen kommen auch an den Ganztagen hinzu. Freistunden innerhalb der Unterrichtszeit sind zwar vorhanden, allerdings mangelt es an geeigneten Arbeitsplätzen, wo in Ruhe und konzentriert gearbeitet werden kann, mal ganz abgesehen davon, dass durch das Stundenraster u. U. max. 40 Minuten am Stück zur Verfügung stehen.

Lehrer sein dagegen sehr

Der vorherige Abschnitt zeigt bereits, dass der Ganztag für die Lehrer eine planerische Herausforderung darstellt. Lehrer brauchen dringend flexible Arbeitszeit für das, was ich eben als Vor- und Nachbereitung bezeichnet habe. Durch den Ganztag wird diese Zeit deutlich eingeschränkt.

In der häuslichen Arbeitszeit ist es – und das ist zunehmend ein Problem – mittlerweile so, dass neben den unterrichtlichen Themen erzieherische Aspekte viel Zeit binden. Das zunehmend „herausfordernde2“ Verhalten der Kinder bedingt, dass deutlich mehr Telefonate zu führen oder zusätzliche Dokumente zu erstellen sind.

Stellen Sie sich einfach selbst die Frage, was Ihnen einfällt, wenn Sie an die Lehrer Ihrer Kinder denken. Genießen Lehrer in der Öffentlichkeit ein hohes Ansehen? Warum ist es gegebenenfalls nicht (mehr) so? Warum gibt es trotz des Beamtenstatus so wenig Zulauf – der Lehrermangel ist eklatant – zum Lehrerberuf?

Ich möchte diese Fragen hier gar nicht beantworten, sondern als Aufforderung zum Nachdenken darüber verstanden wissen. Nur eines dazu: Wenn mich junge Menschen ansprechen, ob sie Lehrer werden sollen, rate ich ab.


  1. Der Grund dafür sind die „kompetenzorientierten Lehrpläne“, die meines Erachtens den Sinn des Wortes konterkarieren, da sie faktisch inhaltsleer sind und Bildung in Checklisten abbilden. Das wäre mal einen eigenen Artikel wert. ↩︎
  2. Im schulischen Kontext (und nicht nur da) verwendet man immer häufiger Euphemismen. So ist „herausfordernd“ ein Synonym für schlechtes Benehmen. Schulen, an denen die Zahl dieser Schüler sehr hoch ist, werden teilweise als „Talentschulen“ geführt. ↩︎

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Von sp

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