Schule im Sinne des Wortes
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Schule im Sinne des Wortes wird ein Ausflug in die Geschichte des Bildungssystems. Antike, Humanismus, Kant, Humboldt – es wird spannend!

Der Begriff „Schule“ lässt sich über das lateinische „schola“ zum griechischen „σχολή“ (scholé) zurückverfolgen, welches sinngemäß „Innehalten in der Arbeit“ oder „Müßiggang“ bedeutet.

Schule als Ort der Unbildung

Nun ist damit aber nicht das gemeint, was wir heute vielfach erleben – Kinder und Jugendliche erleben Schule als notwendiges Übel und neigen eher dazu, wie der sprichwörtliche Gaul nur so hoch zu springen, wie es eben unbedingt sein muss.

Im ursprünglichen Sinn ist Schule ein Ort der Konzentration, des Nachdenkens und eben auch der Muße. Damit verbunden ist die Frage, was die antiken Griechen und viel später Humboldt unter Schule verstanden.

Schauen wir in die Gegenwart. Schule ist mittlerweile eine Einrichtung, die alle Aufgaben übernommen hat, die von ihr politisch und gesellschaftlich erwartet werden:

  • Familienersatz
  • Problemlöser für alle Fragen des Lebens (z. B. ganz aktuell Klima oder Krieg)
  • Drogenprophylaxe
  • sexuelle Aufklärung
  • Migration und Sprachbildung
  • Berufswahl

Sobald es gesellschaftlich notwendig erscheint, ist die Schule passend zur Stelle. Das führt leider dazu, dass Schulen sich weniger auf Bildung im engeren Sinne – wir kommen noch dazu – als vielmehr auf projektorientiertes Arbeiten konzentrieren. Zeit zum Innehalten im Sinne des Wortes Schule, ganz zu schweigen zum Nachdenken, gibt es kaum noch.

Betrachten wir eine zentralen Voraussetzung für Bildung – die Muttersprache. Bei Sprache geht es eben nicht darum, dass man in einfachen Worten seine Bedürfnisse zum Ausdruck bringen kann, es geht vielmehr auch um Stil, die Fähigkeit, sich rhetorisch gewandt ausdrücken zu können oder die klassische Literatur zu kennen. Es reicht eben nicht, nur einfache Subjekt-Prädikat-Objekt-Sätze bilden zu können, Sprache sollte in ihrer semantischen Breite und den vielfachen Möglichkeiten, sich auszudrücken, erlernt werden.

Betrachten wir die Allgemeinbildung. Woran liegt es, dass Bildungsinhalte wie Mathematik, klassische Literatur, Kunst, Musik oft so unbeliebt sind? Richtig, ihnen fehlt (oft) der direkte Alltagsbezug. Alles, was nicht praxisnah ist, wird als Drangsal und überflüssig betrachtet. Die Ausrichtung der Schulen bzw. der Bildungspolitik auf die Erfordernisse der Arbeitswelt erscheint daher logisch.

Was früher als Bildungsziele benannt wurde, sind heute Kompetenzen. Bildung reduziert sich oft auf Teamfähigkeit, digitale Kompetenz und einen ganzen Kanon weiterer inhaltsleerer Skills (so nennt man das neusprachlich). Die Herausbildung von Fähigkeiten und schlussendlich Fertigkeiten ist immer im Kontext zu betrachten. Die o. g. Kompetenzen kann man nicht von Bildung loslösen, es wird aber so getan. Die Mündigkeit des einzelnen, seine Souveränität wird genauso in Frage gestellt, wie die Selbständigkeit des Subjekts. Bildung orientiert sich heute eher an externen Faktoren wie Ökonomie, Berufswahl oder „Lebenstüchtigkeit“. Wo bleibt der Anspruch auf Allgemeinbildung, welche uns in die Lage versetzt, uns in allen Lebensbereichen aus uns heraus zurechtzufinden? Kompetenzorientierung ist Einpressen in eine Nische, die durch Gesellschaft und vor allem Politik in diesem Moment vorgegeben wird.

Bildung im Sinne der Antike oder des Humboldtschen Bildungsideals wird heute als überholt betrachtet, als eine Ansammlung unnützen Wissens, welches ich mir ja gegebenenfalls im Internet heraussuchen kann. Wird hier nicht Bildung mit Informationsbeschaffung gleichgesetzt? Ist Information identisch mit Wissen? Ich habe da so meine Zweifel.

Schule im Sinne des Wortes – Die Ökonomisierung der Bildung

VERA 8, ZP 10 und PISA sind in der heutigen Zeit die Indikatoren für Bildung. Nur wer (um zunächst bei PISA zu bleiben) in der Rangliste am höchsten steht, hat ein hervorragendes Bildungssystem. Ist dem nicht so, bekommen Politiker, Bildungsforscher und Journalisten mindestens einen erhöhten Puls.

Die Politik leitet aus den Ranglisten ihre bildungspolitischen Entscheidungen ab, Deutschland muss in der Liste nach oben! Der Blick weitet sich nicht in Richtung eines gesamtgesellschaftlichen Blicks auf Schule und Bildung, sondern verengt sich immer mehr auf Multiple-Choice-Fragen und deren Ergebnisse in Form eines Rankings (für alle mit guten Deutschkenntnissen: Fragen mit Mehrfachauswahl und deren Ergebnisse in Form einer Rangliste). Da sich politische Verhältnisse gern und schnell ändern, haben diese Maßnahmen eine Halbwertzeit von ziemlich genau einer Legislaturperiode.

Das oberste Bildungsziel heißt: PISA bestehen! Die übergeordneten Bildungsziele, wie Autonomie, Durchdringung dessen, was um mich herum passiert (naturwissenschaftlich wie gesellschaftlich), Lebensnähe, soziales Miteinander oder auch allgemeine Beschäftigungsfähigkeit, spielen keine Rolle mehr.

Wenn das Abschneiden bei PISA zu einer Rhetorik führt, die die Wörter „Bildungskatastrophe“ oder „PISA-Schock“ nutzt, dann frage ich mich, welche Idee von Bildung hier vorherrscht.

Interessant ist letztlich, dass seit Beginn der Studie in Deutschland doch ach so viel für Bildung getan wurde, sich aber gleichzeitig unser Ergebnis nicht verbessert hat. Betrachten wir das Abschneiden in Mathematik:

  • 2022: Platz 24
  • 2018: Platz 20
  • 2015: Platz 16
  • 2012: Platz 16
  • 2009: Platz 16
  • 2006: Platz 20
  • 2003: Platz 19
  • 2000: Platz 21

In den Bereichen Naturwissenschaft und Lesen sieht es ähnlich aus. Nun frage ich mich, an welcher Stelle der bildungspolitische Aktionismus Wirkung zeigt. Gerade im letzten Test 2022 schneidet Deutschland in Mathematik sogar schlechter ab als im sog. „PISA-Schock“-Jahr 2000.

Ich möchte anhand der VERA8-Lernstandserhebung 2024 zeigen, wie die Schulpolitik in NRW herausfinden möchte, was Schülerinnen und Schüler in Deutsch, Mathematik und Englisch können bzw. nicht können. Als Beispiel dient die Erhebung in Mathematik.

Standardisierung von Bildung

Auch die innerschulischen Leistungsmessungen VERA 8 (Lernstandserhebung in Klasse 8) und ZP 10 (Zentrale Abschlussprüfung am Ende der Klasse 10) zeigen deutlich, wie die Schulpolitik ihre Aufgabe der Qualitätssicherung versteht.

Ich zitiere im folgenden einige Aufgaben aus der VERA 8.

Laura hat ein Glas mit einer Markierung für 0,3 Liter. Sie sagt: „Wenn ich sechsmal das Glas bis zur Markierung fülle und trinke, habe ich 6 mal 1/3 Liter, also 2 Liter getrunken.“
Erkläre, warum Laura damit nicht recht hat.

VERA 8 Realschule Mathematik, Aufgabe EM 2.2

Beim genaueren Hinsehen fällt auf, dass bereits zwei Lösungen der Aufgabe vorgegeben sind, zum einen, dass 6 * 1/3 = 2 und zum anderen, dass Laura falsch liegt. Wissend, dass es falsch ist, muss der Schüler nun noch eine geeignete Begründung liefern, was in Anbetracht von 6 * 0,3 = 1,8 nicht besonders schwer sein dürfte.


Schule im Sinne des Wortes

Eine sehr praxisrelevante Aufgabe, wenn man bedenkt, dass es wohl kaum einen Hersteller gibt, der 40 verschiedene Sorten Nussschokolade anbietet.

Drei Schokoladensorten kombiniert mit zwei Verzierungen ergibt schon mal sechs Sorten. Demzufolge benötige ich sieben Sorten Nüsse: 6 * 7 = 42 (> 40)

Rechenweg – Fehlanzeige!

Ach ja: Zählen Sie bitte mal eben sieben verschiedene Sorten Nüsse auf…


Cem legt ein Muster mit Hilfe von Schneckenhäusern (?).

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Wie viele Schneckenhäuser braucht er für Reihe 5?

Für Reihe 30 braucht er 59 Schneckenhäuser. Wie viele Schneckenhäuser braucht er für Reihe 31?

Analog zu Aufgabe BM 1

Ob diese Aufgabe ernst gemeint ist? Ich habe sie nicht erfunden! Mathematik wäre es, wenn die Schüler eine Formel aufstellen müssten, die den Zusammenhang zwischen der Nummer der Reihe und der Anzahl herstellt. Da es sich um die ungeraden Zahlen handelt wird schnell klar, dass

y = f(x) = 2x – 1

gilt, wobei y die Anzahl der Schneckenhäuser und x die Reihennummer sind. Andere Schreibweisen (z. B.: s = 2r – 1) sind natürlich möglich.

Das Quadrat einer Zahl ist immer größer als die Zahl selbst. (Ja/nein mit Begründung)

Analog Aufgabe BM 4

Meiner Meinung nach ist die Aufgabe ungenau formuliert und kann gar nicht erfassen, ob der Schüler oder die Schülerin weiß, worum es hier geht. Die Nennung eines Gegenbeispiels reicht als Begründung aus, null und eins sind schnell gefunden. Aber unter welcher Bedingung gilt die Aussage? Machen wir Mathematik oder Phänomenologie auf Kindergartenniveau?

Noch verrückter wird es bei Aufgabe BM 5. Die Schüler sehen eine Strichliste zum Wahlverhalten bei einer Fremdsprache (Französisch oder Spanisch). Die Striche sind in Fünferpäckchen zusammengefasst. Die Fragestellungen dazu sind, wie viele Kinder Spanisch gewählt haben und wie viele Kinder insgesamt gewählt haben.

Vorschulniveau? Richtig!

Wissen Sie, was der Median ist? Es ist der Wert, der in einer geordneten Stichprobe in der Mitte steht (stehen dort zwei Werte bei einem geradzahligen Stichprobenumfang, muss zusätzlich das arithmetische Mittel dieser beiden Werte gebildet werden).

Schauen wir auf Aufgabe BM 9:

Die Stichprobe ist

4 10 6 5 10 5 9

Nach dem Ordnen:

4 5 5 6 9 10 10

Die 6 ist der Median. Genau zwei Zahlen sollen ersetzt werden, damit die 6 der Median bleibt, also bspw.

3 5 5 6 9 9 10

Was soll uns diese Aufgabe sagen??? Ich weiß es nicht.

Die Aufgabe BM10 ist für mich erneut ein Beispiel für die Herabwürdigung der Mathematik zu einer „Laber“-Wissenschaft.

Anhand einer Wertetabelle einer (Achtung: bereits vorgegeben) linearen Zuordnung soll ein weiterer Wert eingetragen werden – fertig.

Weder muss der Schüler die Linearität selbst erkennen (was nun wahrlich kein Hexenwerk ist) noch seinen Rechen- oder Gedankenweg notieren. „Make an educated guess.“ oder „Take a shot in the dark!“?

Auf weitere Beispiele möchte ich verzichten. Die meisten Aufgaben sind Ankreuzaufgaben oder begnügen sich mit der Angabe einer Lösung ohne Lösungsweg.

Schule im Sinne des Wortes – Ein Blick in die Historie

Gehen wir ein paar unbedeutende Jahre zurück, in das 4. Jahrtausend v. Chr.. Bereits damals wurden Kinder im Rechnen, Zeichnen und in Sumerisch als Muttersprache unterwiesen.

Schule war, bspw. im alten Ägypten, oft den Wohlhabenden vorbehalten, ein Problem, welches wir heute auch noch kennen, wenn Kinder statt zur Schule zu gehen, für den Familienunterhalt arbeiten müssen.

Im antiken Griechenland gab es dann erste allgemeinbildende Schulen, wo neben Lesen, Schreiben und Sport (wieso erinnert mich das an Olympische Spiele?) vor allem die musische Bildung im Vordergrund stand.

Im Europa des Mittelalters waren die Klöster Orte des Lernens, Bildung war den Mönchen vorbehalten. Erst ab dem 13. Jahrhundert begannen die öffentlichen Schulen die Städte zu erobern. Im 16. Jahrhundert gab es vereinzelt eine allgemeine Schulpflicht in Teilen der heutigen Schweiz, der Pfalz oder in Straßburg. Erst im 18. Jahrhundert gab es in Europa eine flächendeckende Schulpflicht, in Deutschland sogar erst ab 1919.

Bildung im engeren Sinne

Bildung zu definieren ist in Anbetracht des gesellschaftlichen oder kulturellen Kontexts nicht einfach. Allen Definitionen gemeinsam ist die Definition als Übereinstimmung des eigenen Wissens mit der Realität. Übrigens ist der Begriff zweideutig:

  • Bildung als Vorgang des sich Bildens
  • Bildung als Zustand, gebildet zu sein

Den Teil der Bildung, den in einer Gruppe von Menschen (z. B. in einer Gesellschaft) alle haben sollen, nennt man Allgemeinbildung.

Bildung als Prozess kann als Selbstbildung genauso funktionieren wie durch Unterweisung. Letzteres geschieht heutzutage in sog. Bildungseinrichtungen.

Da ich mich zu Kant und Humboldt bereits ausführlich geäußert habe, verweise ich auf meinen diesbezüglichen Artikel.

Um den Kreis zum Anfang dieses Artikels zu schließen: Schule muss von den sie erdrückenden Aufgaben befreit werden. Das Kerngeschäft ist Vermittlung von Wissen auf breiter Basis verbunden mit der Erziehung zu mündigen Bürgern. Ein wesentliches Element der Entlastung wäre die Stärkung der Familie, die für die o. g. Aufgaben zuständig ist. Schule kann unterstützen, indem sie Wissen über aktuelle gesellschaftliche und politisch Ereignisse vermittelt und diese – ganz wichtig – in einen historischen bzw. gesamtgesellschaftlichen Kontext stellt. Jeder Strömung, jedem akuten Bedarf und Bedürfnis hinterherzujagen, ist ganz sicher nicht die Aufgabe der Schule.

Dabei muss Schule fordern statt zu infantilisieren. Klare Aussagen in den Lehrplänen, ein Studium samt Referendariat, was die jungen Lehrkräfte gut vorbereitet, wären ein guter Weg. Leider irrt unsere Schulpolitik derzeit blind durch ihre eigene Welt.


Schule im Sinne des Wortes ist ein recht komplexes Thema, was sich in wenigen Worten gar nicht beschreiben, ganz zu schweigen erläutern lässt. Mein Artikel war ein Versuch, diverse Aspekte anzuschneiden und zu erläutern. Vollständig ist er wahrlich nicht, aber ein bisschen müssen Sie sich auch selbst erarbeiten 😉.

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Von sp

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