Mit „Theorie der Unbildung“ bediene ich mich eines Buchtitels, der das nun Folgende trefflich beschreibt. Konrad Paul Liessmanns Buch geht weit über den Inhalt dieses Artikels hinaus, dennoch erscheint mir der Titel des Buches symptomatisch für das, was in unseren Schulen los ist.
Bezug nehmen möchte ich auf meine Erlebnisse in einer Politikstunde einer Klasse 10. In Anbetracht des zu diesem Zeitpunkt aktuell veröffentlichten Correctiv-Artikels über das Treffen in Potsdam stellte eine Schülerin fest:
Wenn die [Anm. des Autors: AfD] das machen, sind in unserer Klasse nur noch drei Schüler.
sinngemäße Wiedergabe der Aussage
Die Lehrkraft hat hier reagiert und die Schülerinnen und Schüler aufgefordert, daraus ein kleines Projekt zu machen. Die zentrale Fragestellung war, ob die AfD eine Gefahr für die Demokratie darstellt. Daraus leiteten die Schüler vier Aufgabenstellungen ab:
- Sammeln von Informationen zum Parteiprogramm der AfD
- Recherchen zum Rechtsradikalismus im Internet
- Aussagen des Grundgesetzes zu den Themen Menschenrechte und Gleichheit vor dem Gesetz
- zentrale Aussagen des Correctiv-Artikels
Die Jugendlichen haben Plakate erstellt und zum eigenen Thema kurze Vorträge gehalten. Nachdem alle Gruppen ihr Thema vorgestellt hatten, schloss sich eine von der Lehrkraft und von mir geleitete Diskussion an.
Im Ergebnis dieser Gesprächsrunde bin ich zu folgenden Ergebnissen gelangt:
- Den Schülerinnen und Schülern mangelt es an Wissen über viele geschichtliche Hintergründe. Zentral ging es um den Unterschied zwischen politisch rechts und links. Trotz dass dieses Thema im Unterricht der Klasse 8 behandelt wurde (Französische Revolution), ist hier faktisch kein Wissen über die Grundlagen unserer Demokratie, wie wir sie verstehen, vorhanden.
- Die Jugendlichen haben keinen kritischen Blick auf die politischen Verhältnisse. Sie folgen im Wesentlichen dem, was unsere sog. Leitmedien verbreiten. Ist das ein Vorwurf? Nein! Neben dem nicht oder wenig vorhandenen Interesse fehlt es den Schülern nachvollziehbar an Lebenserfahrung und leider auch an Wissen. Deutlich wird für mich, wie wichtig umfassende Bildung und eine ausgewogene mediale Information sind. Beides ist defizitär.
- Die Absenkung des Wahlalters (ich habe mich dazu bereits im Zusammenhang mit den Wahlprogrammen der Parteien geäußert) ist vor diesem Hintergrund eine Idee, die nur denen dient, die diese Unbildung zu verantworten haben.
Ich empfehle in diesem Zusammenhang das Buch „Mensch, lern das und frag nicht“ von Hauke Arach über die einseitige Gestaltung von Lehrbüchern.
Es ergänzt die „Theorie der Unbildung“ geradezu perfekt.
Zu welchen Ergebnissen sind die Schülerinnen und Schüler gekommen? Die Vorstellung der Plakate vermittelte einen ersten Eindruck.
Obwohl das Programm keinerlei explizite Aussagen darüber enthält, Menschen aus Deutschland in großem Stil und ohne ersichtlichen Grund abzuschieben, hält es sich hartnäckig, dass dem so sei.
Der Rechtsradikalismus im Netz wurde von den Schülern mit einem Rechtsradikalismus seitens der AfD gleichgesetzt, rechtsradikal ist für sie ein Synonym für die Haltung der AfD.
Die Aussagen des Grundgesetzes wurden korrekt wiedergegeben.
Nun zum Correctiv-Artikel: Die Schülerinnen und Schüler haben genau das gemacht, was die Medien im großen Stil praktiziert haben – Abschreiben der Kernaussagen des Artikels in der damals verfügbaren Version. Die Aussagen folgten dem, was unsere Leitmedien propagierten: Alles, was da steht, ist tatsächlich so passiert. Das dem nicht so ist, gilt – denke ich – mittlerweile als gesichert.
Die nachfolgende Diskussion begann – nachvollziehbar – sehr einseitig und der „offiziellen Meinung“ folgend.
Auf ein Beispiel möchte ich eingehen – „Demo gegen rechts“. Meine Frage, was „rechts“ und „links“ bedeutet, konnte lediglich eine Schülerin (nach meinem Hinweis auf die Französische Revolution) beantworten. Die Befürworter der Monarchie und die Vertreter der einfachen Leute saßen im Parlament rechts bzw. links vom Präsidium aus gesehen. Diese Aufteilung findet man noch heute in vielen Parlamenten, so auch dem unsrigen, wobei der Begriff „Monarchie“ in unserer parlamentarischen Demokratie sinnbildlich zu verstehen ist.
Gesellschaftlich wurde der Begriff „rechts“ immer mehr mit „rechtsradikal“ oder „rechtsextrem“ gleichgesetzt. Übersehen wird dabei offensichtlich, dass es auch Linksradikale oder Linksextremisten gibt. Aktuelles Beispiel ist der Anschlag auf das Tesla-Werk in Brandenburg.
Rechts ist doch rechtsradikal.
Aussage einer Schülerin
Es gab viele weitere Punkte, auf die ich hier nicht eingehen werde, die mich persönlich aber ängstigen. Warum? Nun, es ist viel zu einfach, Jugendliche zu manipulieren, übrigens in jede Richtung. Je nach Freundeskreis oder medialen Interessen ist es sehr einfach möglich, diese jungen Menschen im eigenen Sinn zu „formen“. Die Schule (als Erfüllungsgehilfe der Politik?) hat hier maßgeblichen Einfluss. Unsere Aufgabe muss es sein, die Kinder wertfrei und umfassend zu bilden, die Meinungsbildung zu fördern und die Jugendlichen damit resilient gegenüber manipulativen Einflüssen zu machen.
Übrigens kann beispielsweise sogar der Physikunterricht dabei helfen. Das glauben Sie nicht? Dann rege ich an, darüber nachzudenken, warum wir im Experimentalunterricht so großen Wert auf eine Trennung zwischen „Beobachtung“ und „Schlussfolgerung“ legen. Die Ähnlichkeit zum journalistischen „sachliche Berichterstattung“ und „Meinung/Kommentar“ ist offensichtlich. Schüler neigen dazu, Beobachtungen und Schlussfolgerungen zu vermischen. Journalisten sind über solche Fehler natürlich erhaben.
Theorie der Unbildung? Es gibt viel zu tun – lassen wir es liegen??
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