Schule und Corona
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Unter der Überschrift Schule und Corona möchte ich an dieser Stelle eine Reaktion eines Lehrers darauf veröffentlichen. Den folgenden Text erhielt ich per Mail.

Den Originalartikel finden Sie hier.

Zu „Schule und Corona – ein Trauerspiel“ (04.02.2024) von sp möchte ich meine Gedanken anfügen bzw. einige Aspekte erwidern.
Die Grundlage bildet Bernd Schoepes „Pädagogik und das beharrliche Schweigen“. Ich unterstütze sein Plädoyer für eine pädagogische Aufarbeitung der Covid-19-Krise ebenso, wie ich eine politische, juristische und journalistische Aufarbeitung für dringend geboten halte. Mir stößt allerdings schon im einleitenden Vierzeiler ein Wort unangenehm auf: „mitschuldig“. Schuld setzt Schuldfähigkeit voraus, Wahlfreiheit, wider besseres Wissen gehandelt oder unterlassen zu haben. Schuld bringt ein hierarchisches System von Klägern und Richtern mit sich, die sich über den Schuldigen stellen. Dies mögen reale Personen oder psychologische Instanzen wie das Gewissen sein. Schuldzuweisungen erzeugen meist spontan Abwehr- und Trotzreaktionen. Bringt uns diese Sicht- und Herangehensweise Vorteile? Wohin wollen wir überhaupt?

Ich möchte nur so lange in die Vergangenheit schauen, wie sie Rüstzeug und Kompass für zukünftige Entscheidungen liefern kann. Wer bereit ist, meinen Gedanken zu folgen, ist doch längst auf einem ähnlichen Weg, auf dem Gewissensbisse, Schuld und Sühne nur Ballast sind. Usachen und Wirkungen zu verstehen und daraus für die Zukunft zu lernen, soll das Ziel sein. Wem ein ermutigendes „Sapere aude!“ nicht aureicht und wer diese Lernbereitschaft nicht mitbringt, den erreichen wir im freien Diskurs ohnehin nicht.

Schoepe verweist dann zu Beginn auf Landesverfassung und Schulgesetz als Grundlagen für die Arbeit und die Fürsorgepflicht der Lehrkräfte. Hier vermisse ich ein „nach bestem Wissen und Gewissen“. Genau dieses Wissen ist der Dreh- und Angelpunkt: Wer hatte während der Lockdowns genügend Vorwissen und aktuelle Informationen, die Gefährlichkeit des Virus einzuschätzen? Wer hatte damals schon genügend Hinweise darauf, dass die Leitmedien nicht als zuverlässige Informationsquelle taugen? Wer zweifelte damals schon daran, dass in einem demokratischen Land grundlegende Entscheidungen zum Wohle der Bevölkerung getroffen werden? Ich bin im Glauben an die sich gegenseitig regulierenden Kräfte eines freiheitlichen, demokratischen Systems aufgewachsen und im Vertrauen auf seriösen Journalismus in den Öffentlich-Rechtlichen und in den großen Tageszeitungen. Von mir ausgehend nehme ich an, dass die große Mehrheit aller Lehrerinnen und Lehrer in der Covid-Zeit nach bestem Wissen gehandelt hat.

Etwas später kritisiert Schoepe, die Kinder seien nicht gefragt und nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden worden. Das war auch absolut richtig so, denn es sind Kinder und ihre Eltern tragen die Verantwortung, vor allem in einer Extremsituation.
Was können wir daraus lernen? Erstens ist ein Vertrauensvorschuss an Regierungs- und Behördenvertreter fehl am Platze, kritisches Hinterfragen vor allem in „alternativlosen“ Angelegenheiten hingegen ungemein wichtig. Zweitens könnte man sich vorsorglich mit dem Konzept des zivilen Ungehorsams auseinandersetzen. Drittens werden internationale und alternative Informationsquellen außerhalb des Netzes der großen Nachrichtenagenturen und Leitmedienkonzerne notwendig.

Die Vorfälle im Bericht der Kinderärztin Dr. Andrea Knipp-Selke halte ich für eine Sammlung von Extrembeispielen, die nicht für ein repräsentatives Bild von (unserer) Schule in der Corona-Zeit geeignet sind. Druck auf Ungeimpfte habe ich nicht erlebt, weder von Lehrern Schülern gegenüber noch innerhalb des Kollegiums. Die Maskenpflicht und das Abstandsgebot wurden analog zu Punkten der Schulordnung durchgesetzt, ohne emotionale Betroffenheit oder Psychoterror. Dabei waren einige Kolleginnen und Kollegen durchaus besorgt um ihre eigene Gesundheit oder die naher Verwandter.

Der anfänglichen Verunsicherung der Schüler konnte ich mit Gesprächen in den Klassen begegnen. Sie nahmen meine Fragen nach ihren Gedanken und Sorgen gerne auf und ließen sich durch sachliche Argumente leicht beruhigen. Tiefergehende Ängste zeigten sich nur bei sehr wenigen Kindern mit Verwandten aus Hochrisikogruppen. Alle übrigen kehrten schnell zu jugendlicher Unbekümmertheit zurück.

Ja, Kommunikation und Sozialverhalten haben sicherlich gelitten in einer Zeit, in der ein Großteil der Mimik durch Masken unkenntlich gemacht, Stimmen gedämpft und Körpersprache und Nähe für unerwünscht erklärt wurden. Ich beobachte heute jedoch nichts, was ich als unmittelbare Folgen dieser Zeit identifizieren könnte. Als Ursache von geringem Konzentrationsvermögen und mangelnder Impulskontrolle sind der verbreitete übertriebene Medienkonsum, zuckerlastige Fehlernährung und die Gewöhnung an den allgemein kurzgetakteten Lebensalltag wahrscheinlicher. Auch die Defizite in schulischen Grundlagen und Leistungen folgen einem langfristigen Trend, für den bildungspolitische Entgleisungen verantwortlich sind. Vor allem wurde in der Planung von Personalbedarf und Lehrplänen nicht berücksichtigt, dass einerseits immer mehr Schüler immer weniger Deutschkenntnisse jenseits des umgangssprachlichen Grundwortschatzes sowie immer weniger außerschulisch trainiertes Lesevermögen und Allgemeinwissen mitbringen, während andererseits die Anforderungen an die Schulen in Bereichen wie Medienkompetenz, Berufsorientierung und tägliche Betreuung steigen. Zum Glück ist das Bild der Bildungslandschaft insgesamt so düster, dass der Schatten der Corona-Zeit kaum auffällt.

Was nehmen wir für die Zukunft mit? Wir können weiterhin im Blick behalten, ob die gesellschaftliche Großwetterlage unseren Schülern Sorgen bereitet, und versuchen, ihnen seelische Nöte zu ersparen, Gespräche zu führen und aufzuklären. Und wir können uns bemühen, solche Exzesse zu verhindern, wie sie von der Kinderärztin beschrieben wurden.

Nein, Herr Schoepe, die „mehrfach privilegierten“ Lehrer haben sich nicht zuhause verkrochen. Ich bin nicht der einzige, der den Kindern ihre Schulbücher nach hause gebracht und Haustürgespräche geführt hat. Ich bin nur kein Friseur, der sich entscheiden kann, ob er einen Kunden hereinlässt oder nicht. In einem Getriebe, in dem Tausende von Rädchen koordiniert werden müssen, ist mein persönlicher Einfluss gering. Als Mensch und Bürger nehme ich die Kritik an, dass ich früher hätte aufwachen und das Geschehen kritischer hätte betrachten können, aber mein Bemühen, den Notbetrieb im Distanzlernen am Laufen zu halten, als „falsch“, „fehlgeleitet“ und „eigenes Versagen“ zu betrachten, lehne ich ab. Auf meinem Tisch lagen im Sommer 2020 keine Fakten und das trifft genauso auf die Tische der übergroßen Mehrheit der Pädagogen zu. Zu der Zeit war eine kritische Haltung Detektiv-Arbeit, die das Risiko barg, den Keil durch die Gesellschaft genau durch den eigenen Bekanntenkreis zu ziehen.

Warum ich nach vorn schauen möchte, anstatt mich in Schuldzuweisungen zu suhlen, habe ich bereits oben dargelegt. Ebenso habe ich kurz beschrieben, dass ich die negativen Auswirkungen der Corona-Zeit auf die Kinder für nur unwesentlich schlimmer halte als andere, denen sie permanent ausgesetzt sind.

Auch dagegen, unsere Schule über den Kamm der seelenlosen Lernmaschine zu scheren und unserem Kollegium den Deckel der charakterlosen Mitläufer und Befehlsempfänger aufzustülpen, weigere ich mich. Das wäre einfach Unrecht gegenüber all dem persönlichen Engagement, der Vielzahl individueller Absprachen, offizieller und inoffzieller Arbeitskreise und dem Einsatz für unsere Klassen und einzelne Kinder im Besonderen.

Wir haben uns der Aufarbeitung der Corona-Zeit noch nicht gestellt – korrekt. Warum gehen wir es nicht an? Mit einer Umfrage: Was lief – fachlich, technisch, menschlich… – gut, was lief schlecht? Welche Werte sind für unsere Arbeit maßgeblich und wie werden wir kritisch und bleiben gleichzeitig an diesen Werten orientiert?

Mail vom 06.02.2024 (Der Name des Verfassers liegt mir vor, wird hier aber nicht genannt.)

Ich möchte ebenfalls einen Kommentar zu „Schule und Corona – eine Reaktion“ abgeben:

Mein Artikel war in der Tat eine Provokation. Mir ist völlig bewusst, dass das Wort Schuld ein sehr bedeutsames Wort, sowohl moralisch, wie auch rechtlich, ist.

Interessanterweise stoße ich bei vielen Betrachtungen zu Schule und Gesellschaft immer wieder auf Immanuel Kant, der aus der Aufforderung, es zu wagen, weise zu sein, 1784 ein „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“ machte.

Vielen von uns war der Zugang zu echten Informationen versperrt. Ich kann mein Handeln in der Tat nur daran messen, was ich weiß. Das Totalversagen nicht zuletzt der Medien hat in der Corona-Zeit dazu geführt, dass Lehrkräfte – ich zitiere aus obigem Kommentar –

nach bestem Wissen und Gewissen

gehandelt haben.

Wenn ich daran zurückdenke, welch immensen Aufwand die Lehrerinnen und Lehrer betrieben haben, muss ich aus heutiger Sicht konstatieren, dass sie dies teilweise an die Grenze des Leistbaren geführt hat.

Ich stimme zu, dass die Defizite unserer Kinder eine deutlich längere Vorgeschichte haben, als nur die Corona-Zeit dafür verantwortlich zu machen. Meiner Auffassung nach wurde dieser Prozess durch die Schulschließungen in einer Art und Weise akzeleriert, die heute dafür sorgt, dass die Gründe nur sehr undifferenziert betrachtet werden. Insofern finde ich, dass

der Schatten der Corona-Zeit

doch größer ist, als es der obige Kommentar beschreibt.

Statt das Virus verantwortlich zu machen – welches ich ohnehin nicht dem Richter vorführen kann – sollten wir alle darüber nachdenken, wo tatsächlich Fehler gemacht wurden und vor allem wie wir die Bildung und Erziehung unserer Kinder auf eine neue Basis stellen können.

Ich danke dem Autor ausdrücklich dafür, dass er das Bild der Lehrerschaft in der Öffentlichkeit korrigiert. Auch in meiner Wahrnehmung greifen die Aussagen von Bernd Schoepe zu kurz.

Aber manchmal kann eine Provokation auch in der nachfolgenden Diskussion zu etwas Gutem führen. Insofern – lassen Sie uns diskutieren!

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Von sp

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