Bildung und Erziehung
Lesedauer 4 Minuten

Unter der Überschrift Bildung und Erziehung – quo vadis halte ich einen Vortrag auf einer Tagung zum Thema Mathematik in der Schule.

Nachfolgend meine Präsentation dazu:


Ach was muß man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
Welche Max und Moritz hießen.
Die, anstatt durch weise Lehren
Sich zum Guten zu bekehren,
Oftmals noch darüber lachten
Und sich heimlich lustig machten.
Ja, zur Übeltätigkeit,
Ja, dazu ist man bereit!
Menschen necken, Tiere quälen,
Äpfel, Birnen, Zwetschen stehlen
Das ist freilich angenehmer
Und dazu auch viel bequemer,
Als in Kirche oder Schule
Festzusitzen auf dem Stuhle.

Bild: Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=296192

Kant und Humboldt

Sapere aude – Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!

Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft

Es gibt schlechterdings gewisse Kenntnisse, die allgemein sein müssen, und noch mehr eine gewisse Bildung der Gesinnungen und des Charakters, die keinem fehlen darf. Jeder ist offenbar nur dann ein guter Handwerker, Kaufmann, Soldat und Geschäftsmann, wenn er an sich und ohne Hinsicht auf seinen besonderen Beruf ein guter, anständiger, seinem Stande nach aufgeklärter Mensch und Bürger ist. Gibt ihm der Schulunterricht, was hierfür erforderlich ist, so erwirbt er die besondere Fähigkeit seines Berufs nachher so leicht und behält immer die Freiheit, wie im Leben so oft geschieht, von einem zum andern überzugehen.

P. Berglar (1970): Wilhelm von Humboldt, p. 87

Erfahrungen mit Leistungs- und Bereitschaftsniveau

  • Allgemein:
    • mehrheitlich unfähig, sauber und strukturiert zu arbeiten (z. B. Heftführung, Organisation des Arbeitsplatzes)
  • Lesen und Schreiben:
    • kein flüssiges Lesen (schon gar nicht sinnerfassend) bei Schülern jenseits der Erprobungsstufe (ab Klasse 7)
    • Überforderung bei schriftlichen Aufgabenstellungen
    • Mehrheit liest privat nicht und hat keine Vorbilder, von denen sie Begriffe außerhalb der einfachsten Alltagssprache lernen könnte
  • Rechnen:
    • ca. 2/3 ohne sichere Kenntnis des kleinen 1×1
    • gering ausgeprägtes Zahlenverständnis (Denken in Bildern)
    • Bruchrechnung als Feindbild
    • Formelrechnen kaum möglich

Beispiel

  • chaotische Zustände in einer Klasse 6 (Ende letztes Schuljahr)
  • Intervention, regelmäßige Hospitation durch Schulleiter
  • Kollegin machte parallel dazu nach eigener Aussage „schlechten, langweiligen Unterricht“:
    • lässt die Kinder abschnittsweise anhand von Projektionen oder Arbeitsblättern die Inhalte erarbeiten (anhand konkreter Fragestellungen)
    • vergleicht und geht zum nächsten Abschnitt über
    • regelmäßige Tests
  • O-Ton der Kollegin nach einer solchen Stunde: „Als ich am Ende der Stunde gefragt habe, wer denn heute etwas gelernt hat, haben fast alle aufgezeigt.“

Nicht ganz ernst gemeint


Zahlen, Zahlen, Zahlen

Zeugnisnoten 8 und 9

Zeugnisnoten 5

  • Fast die Hälfte aller Anmeldungen sind H oder H/R
  • 3 von 13 Klassen am Gym sind R (Schuljahr 25/26)
  • 489 Schüler
    • 52 im DaZ (11 %)
    • 369 mit Migrationshintergrund (75 %)
    • 34 Schüler nicht versetzt (7 % | 2023/24), davon
      • 25 mit 5 in M
      • 1 mit 6 in M
    • 207 Schüler mit Blauen Briefen (42 %)
    • 242 Schüler mit unentschuldigten Fehlstunden (49 %)
    • 94 Schüler mit 5 in M (21 % | Halbjahr 2024/25)

Persönliche Erfahrungen

  • Grundlegende Verhaltensregeln fehlen
  • Verbindlichkeit von Anweisungen wird nicht erkannt
  • Fehlendes Arbeitsmaterial
  • Resignation der Lehrer
    • Analysefähigkeit
    • Schuldzuweisungen
    • Umgang mit Defiziten
  • Autonomes Lernen mit Lernbegleitern
  • sinkendes fachliches Niveau der Leistungsüberprüfungen
  • defizitäre Arbeitshaltung
  • Verwaltung des Mangels an vollständigen Arbeitsmaterialien
  • viel Aufwand für Disziplinierung
  • Überlastung („Lehrer haben vormittags recht und nachmittags frei“)
  • deutlich aufwändigere Zusammenarbeit mit Eltern

Scheitern der Grundschule 

Mathematikunterricht früher und heute

Thesen

  • Kinder werden heute „überbehütet“, Anforderungen stellen schadet den Heranwachsenden nach Meinung einiger Bildungsforscher.
  • In den Schulen hat der Hedonismus Einzug gehalten. Bildung um der Bildung willen ist abgeschafft, alles muss Spaß machen, weil die Kinder dann angeblich besser lernen.
  • Der schülerzentrierte Unterricht überfordert die Kinder. Ohne klare Leitlinie ist Bildung meiner Meinung nach nicht möglich. 
  • Die massenhafte Ausstattung von Kindern bereits im Grundschulalter mit Smartphones, Spielekonsolen und eigenen Fernsehgeräten führt zu einer Verzerrung der Interessenlage, sorgt dafür, dass die natürlich vorhandene Neugier und Wissbegier der Kinder falsch kanalisiert wird. 
  • Die Schulpolitik folgt diesem Trend und digitalisiert die Bildung, was auch immer das heißen mag. Es führt letztlich dazu, dass die Kinder, die sich ohnehin bereits viel zu lange mit ihrem Smartphone beschäftigen, nun auch im Unterricht häufig (oder immer – Stichwort Tabletklassen) mit digitalen Endgeräten konfrontiert werden. 
  • Die Schulen sind mittlerweile aller Möglichkeiten der Sanktionierung sowohl im unterrichtlichen wie auch erzieherischen Bereich beraubt. Notenausgleich und Nachprüfung auf der einen Seite sowie nur noch „zahnlose“ Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen stellen Bildung und Erziehung der Beliebigkeit anheim.

Bildung und Erziehung

  • psychisch zurückgebliebenen Kinder identifizieren
    • aggressives, unsoziales Verhalten
    • ständiges Rückfragen (Sich-dumm-stellen)
    • Apathie
  • sich selbst vertrauen
    • Lehrer müssen ihre eigenen Ideen umsetzen
    • Bedingung: Lehrer bezieht die Kinder auf sich und führt
  • Kontakt zu den Kindern finden und halten
    • Kinder suchen Orientierung (nicht nur durch Noten)
    • Lob, aber auch eindeutiger Affekt
  • klare Anweisungen
    • keine „Pendelerziehung“
    • klare Regeln, eindeutige Reaktion auf Fehlverhalten
  • Unterricht ritualisieren und entschleunigen
    • gleiche Abläufe schaffen
    • wenig Hektik im Unterricht
  • gemeinsames Handeln
    • Lehrer sind keine Einzelkämpfer
    • kein Konkurrenzdenken
  • Schüler engmaschig begleiten und ihnen etwas abverlangen
    • Konzentration auf den Unterrichtsgegenstand
    • Frustration aushalten
    • lernbereit sein
    • Lehrer entscheidet -> Kinder erledigen die Aufträge (keine Auswahl, kein „vielleicht“)weg von Checklisten!

Fragen

  • Waren Kinder vor mehr als 40 Jahren besser bzw. leistungsfähiger?
  • Könnte es sein, dass wir schlichtweg zu wenig verlangen?
  • Haben wir verpasst, uns an die geänderten Rahmenbedingungen anzupassen?

Sitzen an den entscheidenden Stellen Menschen, die 

  • nicht wissen, was los ist?
  • nicht wissen, was sie tun?
  • aus welchen Gründen auch immer vorsätzlich so handeln?

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Von sp

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