Schreibschrift - Nachtrag
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Zu meinem Artikel „Druckschrift oder Schreibschrift“ möchte ich einen Nachtrag machen. Das Magazin Cicero hat sich nämlich ebenfalls dieses Themas angenommen.

https://www.cicero.de/kultur/abschied-von-der-schreibschrift-dilettantismus-ist-nicht-kinderfreundlich

Neue Besen kehren gut – aber die alten wissen, wo der Dreck sitzt. Den zweiten Teil dieser alten Lehrerweisheit lässt das bayerische Kultusministerium im neuen Schuljahr außer Acht, indem es mit der Abkehr von der Schreibschrift liebäugelt. Zu beeindruckt ist man davon, dass eine Doktorandin der Universität Eichstätt digitale Hilfsmittel verwendet hat, um den Bewegungsablauf von Kindern beim Schreiben sichtbar zu machen. 

ebenda

Die Schulministerien klammern sich an jeden Strohhalm. Ich gehe davon aus, dass die Probleme in den Schulen bekannt sind, aber Politiker immer die Wahlentscheidungen der Bürger im Sinn haben, so dass nicht lösungs- sondern erhaltungsorientiert gedacht und gehandelt wird. Etwas – vorgeblich – im Sinne der Kinder zu tun, kommt eben gut an. Wenn man seine Entscheidung mit einer – wenn auch meiner Ansicht nach unsinnigen – Studie untermauern kann und dem Projekt einen wohlklingenden Namen (FlowBY) gibt, fällt das Wahlvolk direkt auf die Knie.

[…] entspricht der ideologischen Mode, die mangelnde Erfahrung und Urteilsfähigkeit von Kindern auszublenden. Was ein Kind sich ausgedacht habe – egal wie unsachgemäß es ist –, sei durch den Ursprung im eigenen Ego immer wertvoller als Strukturen, die erfahrenere Menschen vorgeben. Hauptsache, der Besen ist neu.

Kinder sind keine Erwachsenen! Ich weiß nicht hat, welchen wirren Konstrukten im Hirn mancher Menschen dieser Unfug entspringt. Kinder brauchen Anleitung, Vorbilder und Strukturen. In der Pubertät, also weit nach der Kindergarten- und Grundschulzeit, beginnen Kinder bzw. Jugendliche, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen, um eigene Werte, Standpunkte und Verhaltensweisen zu entwickeln. Selbst hier ist das Eingreifen der Erwachsenen dringend geboten, damit sich der moralische Kompass der Kinder (weiter)entwickeln kann.

Achtung, mal etwas Neues: ein Zitat im Zitat.

Es ist „ein untauglicher Versuch, die Probleme zu lösen, die sich in den zurückliegenden Jahrzehnten auf dem Gebiet des herkömmlichen Schreibunterrichts angestaut haben. […] Eine durchgestaltete Vorlage für Schüler wird […] als Hindernis für die persönliche Entfaltung abgelehnt. Doch nicht nur hier äußert sich falsch verstandene Kreativität. Hinzu kommt, daß korrekte Verbindungen zwischen den Buchstaben nicht mehr als VOR-Bild angeboten werden, sondern der Beliebigkeit überlassen bleiben. Die Erfahrungen von Generationen, die sich im flüssigen Schreiben und im Buchstabenverbinden auskannten, werden unterschlagen: Der Schüler soll statt dessen nach eigenem Gutdünken Verbindungen selbst erfinden.“ (Tost 2012)

https://www.cicero.de/kultur/abschied-von-der-schreibschrift-dilettantismus-ist-nicht-kinderfreundlich

Renate Tost hat in den 60ern die Schulausgangsschrift entwickelt und betrachtet die heutigen „Modeerscheinungen“ mit Sorge.

Mir selbst erschließt sich ebenfalls nicht, wieso die Kinder in der Schule bis zu vier verschiedene Arten von Schrift erlernen, damit sie daraus dann in eigener Entscheidung eine Handschrift entwickeln sollen. Ich sage es nochmal: Was für ein Unsinn!!

Wo sind wir hingekommen, dass die Autorin des Cicero-Artikels Materialien anbietet, die zu meiner Grundschulzeit (70er Jahre) in jedem Schulbuch zu finden waren? Das ist kein Vorwurf an die Autorin, sondern ein großes Fragezeichen in meinem Kopf.

Um bei meiner Schulzeit zu bleiben:

Solange Lehrkräfte primär Arbeitsblätter austeilen, in denen Schüler nur Lücken ausfüllen, anstatt Hefteinträge anzufertigen; solange Kindergärten nicht einmal mehr die richtige Stifthaltung lehren, weil sie keine „Zulieferbetriebe der Schulen“ sein wollen; solange vorgegebene Schriftformen als „strukturelle Gewalt“ gelten und nicht als Entwicklungstreppe, auf deren Basis Kinder in der Pubertät dann ihre eigene Handschrift entwickeln; solange Übung und Leistungssteigerung pro Zeit als altmodisch verachtet wird – solange wird sich auch bei der Handschrift nichts ändern.

ebenda

Ich kenne aus meiner Schulzeit keine Arbeitsblätter, bestenfalls kam der Lehrer mit einem Stempel um die Ecke, anderenfalls wurde halt einfach abgezeichnet und -geschrieben. Den Füller (was ist das?) konnte ich bereits kurz vor Schulbeginn richtig halten, mir fehlte es lediglich an Übung (das haben die Grundschullehrer im ersten Schuljahr mit uns trainiert). Ich kann mich an die seitenlangen Übungen zur Schreibschrift erinnern, Druckschrift habe ich nie gelernt zu schreiben, sondern immer nur in Büchern gesehen (und damit automatisch gelernt). Noch eine Erinnerung: Jedes Schuljahr gab es andere Schreibhefte, beginnend mit vielen Hilfslinien bis hin zu einzeiliger Lineatur im vierten Schuljahr.

Übrigens setzt sich der „Trend“ zum Arbeitsblatt auch in der weiterführenden Schule fort, diesmal mit der Begründung, dass alles andere viel zu lange dauern würde. Die Grundschullehrer als Schuldige und fertig ist der Salat. Selbst Verantwortung übernehmen? Wohl eher eine Fehlanzeige! Es ist halt einfacher, die Schuld bei anderen zu suchen, vor allem in Bereichen, wo man eh nichts ändern kann. Jeder schimpft über den anderen, aber keiner fängt mal bei sich selbst an. Ja, ich weiß, das ist zu absolut, allerdings zeigt meine Erfahrung, dass die Lehrer mit Menschenverstand in diesem Bereich ein Auslaufmodell sind.

Aus vermeintlicher Kinderfreundlichkeit die fachliche Verantwortung auf Kinder abzuwälzen, zeugt von Sentimentalität und Dilettantismus, nicht von Respekt für unsere Schüler und ihre Zeit. 

ebenda

Besser hätte ich mein Schlusswort auch nicht formulieren können.

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Von sp

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