Das Thema „Ganztagsschule – wie praktisch“ impliziert bereits, wie ich dazu stehe. Aber diese Medaille hat zwei Seiten, auch wenn die politische Marschrichtung klar ist.
Ich habe in meinem Umfeld mit zwei Lehrkräften darüber gesprochen, ob sie es für sinnvoll halten, dieses Thema aufzumachen. Folgende Antworten kamen dazu:
Eine Sammlung von Argumenten halte ich durchaus für sinnvoll – nicht, um an der [Anm. des Autors: Name der Schule entfernt] den Ganztag morgen abzuschaffen, sondern als Arbeitsgrundlage, um an den grundlegenden Schwachpunkten und Stärken des Konzepts ansetzen und arbeiten zu können.
Ich halte es auch für sinnvoll, wenn man sich einmal den Unterschied zur Halbtagsschule vor Augen führt.
Die Schüler sind den ganzen Tag mit der selben Gruppe Menschen zusammen und das im gleichen Raum. Früher waren die Schüler auch mit andere Menschen, Geschwistern, Kindern aus der Nachbarschaft, in Sportvereinen, Musikschulen zusammen. Sie hatten Abstand, Ruhe und konnten das erworbene Wissen zuhause vertiefen und üben.
Heute wird zu Hause nichts mehr für die Schule gemacht und eine Stunde Lernzeit pro Woche ist viel zu wenig.
[Anm. des Autors: Name entfernt] versucht gerade mit seiner Klasse an einem Nachmittag (er hat sie den ganzen Nachmittag) so eine Art Aufgaben-Nachmittag einzuführen, ohne ständigen Raumwechsel und mit mehr Ruhe.
Schauen wir mal, wie sich das entwickelt.
Rechtliche Situation
Betrachten wir zunächst die rechtliche Lage in NRW.
Wenn Sie die Ausführungen der Landesregierung dazu lesen möchten, finden sie die Informationen hier:
- https://www.schulministerium.nrw/schule-bildung/schulorganisation/ganztag
- https://www.schulministerium.nrw/ganztags-und-betreuungsangebote
Die Rechtsgrundlage findet sich in der BASS 12-63 Nr. 2.
In einer gebundenen Ganztagsschule (§ 9 Absatz 1 SchulG) nehmen alle Schülerinnen und Schüler der Schule an den Ganztagsangeboten teil. Mit Aufnahme der Schülerinnen und Schüler in die gebundene Ganztagsschule wird die regelmäßige Teilnahme an den Ganztagsangeboten dieser Schule für sie in dem in Nummer 5.1 beschriebenen Zeitrahmen verpflichtend.
ebenda, 1 Grundlagen, 1.2
Der Zeitrahmen des Ganztagsbetriebs gebundener Ganztagsschulen (§ 9 Absatz 1 SchulG) erstreckt sich unter Einschluss der allgemeinen Unterrichtszeit in der Regel auf mindestens drei Unterrichtstage über jeweils mindestens sieben Zeitstunden, in der Regel von 8 bis 15 Uhr. Er erhöht sich in erweiterten gebundenen Ganztagsschulen in der Regel auf jeweils mindestens vier Unterrichtstage mit jeweils mindestens sieben Zeitstunden. Die Teilnahme aller Schülerinnen und Schüler ist in diesem Zeitrahmen verpflichtend.
Gebundene und erweiterte gebundene Ganztagsschulen in der Sekundarstufe I führen über den für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtenden Zeitrahmen hinaus weitere außerunterrichtliche Angebote durch, zum Beispiel nach 15 Uhr oder an weiteren Wochentagen. Die Teilnahme der Schülerinnen und Schüler an diesen Angeboten ist in der Regel freiwillig. Die Schule kann diese Angebote für einen Teil der Schülerinnen und Schüler als verpflichtend erklären.
In der Sekundarstufe I kann die Schule für die unteren Klassen einen größeren Zeitrahmen als für die oberen Klassen vorsehen.
ebenda, 5 Zeitrahmen und Öffnungszeiten, 5.1
Der Abschnitt 3 legt die Merkmale der Ganztagsschulen dar:
- sinnvoll rhythmisierte Verteilung von Lernzeiten
- die Öffnung von Schule zum Sozialraum
- Förderkonzepte und -angebote für Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedarfen
- zusätzliche Zugänge zum Lernen und Arbeitsgemeinschaften
- Möglichkeiten und Freiräume zum sozialen Lernen
- Angebote zur gesunden Lebensgestaltung
- vielfältige Bewegungsanreize und -angebote
Ach ja: So ganz nebenbei haben wir natürlich auch einen Bildungsauftrag.
Noch ein Wort zu den Grundschulen: In NRW wird ab August 2026 ein Recht auf Ganztag eingeführt. Das ist auch im offenen Ganztag realisiert. Der Städtetag in NRW fordert darüber hinaus, dass die Kommunen das Recht bekommen, einen verbindlichen Ganztag an Grundschulen einzurichten. Basis dieser Forderung sei die Notwendigkeit der Betreuung von Kindern in Stadtvierteln „mit besonders großen Herausforderungen“ oder der Wunsch der Eltern, ihrem Beruf nachzugehen.
An dieser Stelle sei mir ein Kommentar erlaubt:
Ich halte es für eine Fehlentwicklung, die Kinder in o. g. Stadtvierteln den Eltern „wegzunehmen“. Wesentlich sinnvoller wäre es, in den Stadtvierteln selbst Angebote an Eltern und ihre Kinder zu machen, sich miteinander zu beschäftigen. Möglichkeiten gibt es bestimmt, bspw. Freizeit- und Sportangebote in dafür geeigneten Einrichtungen oder Sozialarbeiter, die die Familien unterstützen.
Die Gleichberechtigung insbesondere für Frauen hat dafür gesorgt, dass es heute selbstverständlich ist (oder zumindest sein sollte), dass auch die Mütter das Recht haben, Karriere zu machen und einem Beruf nachzugehen. Das ist auch gut so! Statt nun die Eltern dadurch zu entlasten, sie von ihren Kindern für viele Stunden des Tages zu trennen, könnte ich mir auch vorstellen, dass die Politik die Regelungen für bezahlte Elternzeit, Teilzeit usw. familienfreundlicher ausgestaltet, so dass Eltern karriereunabhängig trotzdem ab mittags ihre Kinder selbst versorgen und betreuen können. Offene Nachmittagsangebote (Sport oder andere Freizeitaktivitäten) sind sicher eine gute Ergänzung.
Die primäre Erziehungsinstanz müssen die Eltern bleiben!
Ganztagsschule – wie praktisch: Stundentafel
In Halbtagsschulen werden die Kinder in der Klasse 5 zwischen 28 und 31 Stunden pro Woche unterrichtet, was sich bis zur Klasse 10 auf 31 bis 34 steigert. (Quelle: https://bass.schul-welt.de/18561.htm)
Je nach Modell (Beschulung mit mind. 7 Zeitstunden) werden an Ganztagsschulen bspw. 36 Stunden a 45 Minuten unterrichtet. Die zusätzlichen Stunden nennen sich „ergänzende Unterrichtsangebote“ und sollen mit den o. g. Inhalten gefüllt werden.
Die Ergänzungsstunden werden vorrangig für die Intensivierung der individuellen Förderung der Kompetenzen in Deutsch und Mathematik, den Fremdsprachen, den Naturwissenschaften und für berufsorientierende Angebote verwendet, insbesondere, wenn damit eine Klassenwiederholung oder ein Schulformwechsel vermieden, Abschlüsse oder Berechtigungen erreicht oder die Möglichkeiten der Schülerin oder des Schülers zum Übergang von der Schule in den Beruf verbessert werden können. Die Schulkonferenz beschließt dafür Grundsätze auf Vorschlag der Schulleiterin oder des Schulleiters. Ab Klasse 9 kann die Schule eine weitere moderne Fremdsprache mit vier Wochenstunden sowie das Fach Hauswirtschaft mit zwei Wochenstunden anbieten.
APO-S I, § 15 (4)
Praxisbeispiel
An der von mir gewählten Beispielschule beginnt der Unterricht 08:00 Uhr und endet an drei Tagen am Nachmittag 15:30 Uhr. An den anderen beiden Tagen ist 13:00 Uhr Schluss.
Der Tag ist durch eine Mittagspause unterbrochen. Die Kinder müssen die Möglichkeit haben, ein Mittagessen einzunehmen. Dazu gibt es eine Mensa.
Damit werden die Schülerinnen und Schüler insgesamt 36 Stunden unterrichtet. Damit bleiben zwischen 8 und 5 (bzw. 5 bis 2) Stunden Zeit für ergänzende Angebote, je nach Klassenstufe und Auslegung der Stundentafel innerhalb der Bandbreite.
Hinzu kommt, dass es in der Ganztagsschule im Regelfall keine Aufgaben für zu Hause gegeben werden. Sie werden ersetzt durch Lernzeiten. Davon gibt es an der genannten Beispielschule pro Klasse zwei. Zu Hause bereiten sich die Kinder auf Tests oder Klassenarbeiten vor, bei letzteren muss aber der überwiegende Teil ebenfalls in der Schule vorbereitet werden.
Halbtagsschulen erteilen übrigens je nach Alter der Schüler zwischen 60 und 75 Minuten Hausaufgaben pro Tag.
Alle Kinder haben pro Woche 90 Minuten (= 2 Stunden) Arbeitsgemeinschaft. Die älteren können sich davon zugunsten von Vereinen befreien lassen.
Ziehen wir die Lernzeiten und die Arbeitsgemeinschaft ab, bleiben nun noch bestenfalls 4 Stunden bis 1 Stunde für fünf der anderen Angebote (s. Aufzählung oben).
Ganztagsschule – wie praktisch: ein Fazit
In Zeiten, in denen zunehmend mehr Mütter (berechtigt) ihrem Beruf nachgehen oder in manchen Familien das „klassische Familienleben“ eher nur noch am Rande stattfindet, könnte leicht der Eindruck entstehen, dass die Ganztagsschule (am besten mit fünf Tagen im Ganztag) unumgänglich und damit auf der Höhe der Zeit ist.
Das kann man so sehen…
Ich finde es falsch, die Familien aus ihrer Verantwortung zu entlassen. Es sollte alles dafür getan werden, dass die Elternhäuser – mit einem besonders wachen Blick auf die Alleinerziehenden – in ihrer Funktion als primäre Erziehungsinstanz gestärkt werden. Die Gelder für die Ganztagsbetreuung können dafür gut verwendet werden. Hinzu kommt, dass der Einsatz von Lehrkräften für Lernzeiten, Arbeitsgemeinschaften oder auch Förderunterricht so ziemlich die kostspieligste Version der Nachmittagsbetreuung darstellt.
Was sind meine Vorschläge?
- Ausbau der nachmittäglichen Angebote in den Bereichen der Freizeitgestaltung, z. B. Sport im Verein oder offene Angebote in Jugendhäusern
- Beratungangebote für Familien durch Sozialarbeiter
- Öffnung der Schulen für externe Anbieter (z. B. Silentien oder Nachhilfe)
Alles ist besser, als die Kinder und Jugendlichen zu Hause vor Fernseher, Computer, Smartphone oder Spielekonsole zu parken.
Es gibt sicher mehr als das Genannte, aber ich wollte den Beitrag nicht ohne konkrete Vorschläge beenden. Wenn Sie Ideen zum Thema „Ganztagsschule – wie praktisch“ haben, nutzen Sie gern die Kommentarfunktion.
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