Lehrermangel - nichts Neues
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Der Lehrermangel ist nichts Neues, dieses Problem existiert nicht erst seit wenigen Jahren. Die Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz hat dazu ihrer Phantasie freien Lauf gelassen.

Laut Berechnungen der KMK fehlen bis 2035 etwa 68 000 Lehrkräfte an deutsche Schulen. Aktuell (Stand 09/2023) sind 14 500 Vollzeitstellen unbesetzt.

Andere Quellen nennen noch deutlich größere Zahlen.

Um das in Relation zu setzen, muss man wissen, dass es eine Schüler-Lehrer-Relation gibt, anhand der die notwendigen Vollzeitstellen für eine Schule ermittelt werden. Damit lässt sich errechnen, dass derzeit fast 300 000 Schülerinnen und Schüler allein in NRW durch die vorhandenen Lehrerinnen und Lehrer „mitversorgt“ werden müssen. In Anbetracht von etwa 2,5 Millionen Kindern und Jugendlichen an den Schulen sind das satte 12 %.

Die SWK schlägt u. a. folgendes vor:

  1. Verlängerung der Lebensarbeitszeit (Anpassung des Ruhestandseintritts)
  2. Teilzeit reduzieren
  3. Abordnungen
  4. Erhöhung der Selbstlernzeiten von Schülerinnen und Schülern
  5. Anpassung der Klassenfrequenzen
  6. Weiterentwicklung des Seiteneinstiegs

Zum Nachlesen: https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2023/SWK-2023-Stellungnahme_Lehrkraeftemangel.pdf

zu 1:

Sind zu wenige Lehrkräfte da, hilft manchmal einfache Mathematik. Sie müssen länger arbeiten, was den Mangel etwas weniger mangelhaft macht. Auf diese Idee kommen Menschen, die vermutlich nach ihrer Schulzeit nie wieder eine Schule von innen gesehen, geschweige denn erlebt haben.

Der Beruf des Lehrers ist es eben nicht, „morgens recht und nachmittags frei zu haben“. Ich selbst bin Mitte 50, stehe mit beiden Beinen im Leben, komme sehr gut klar in der Schule und muss dennoch festhalten, dass die Tage zunehmend anstrengender werden. Nicht nur Menschen, die körperlich schwer arbeiten, haben das Recht, in der Öffentlichkeit als diejenigen dazustehen, deren Beruf im engeren Sinne anstrengend ist. Die gesundheitlichen Folgen sind nur andere. Der Maurer hat kaputte Knie, der Lehrer eine angegriffene Psyche. Aber letzteres ist ja nicht so schlimm. Die Pauker sollen sich nicht so anstellen in Anbetracht von so viel Ferienzeit = Urlaub. Wer so denkt, ist hier falsch!

zu 2:

Ja, aus Sicht des Schulleiters ist Teilzeit ein Thema, das uns bei der Planung vor große Aufgaben stellt. Nichtsdestotrotz muss ich anerkennen (und tue das auch), dass die Teilzeit oft die einzige Option ist, Kind oder zu pflegende Angehörige und Beruf unter einen Hut zu bekommen.

Es gibt eine weitere Gruppe, nämlich die Kolleginnen und Kollegen mit voraussetzungsloser Teilzeit, die ohne Kind oder zu pflegendem Angehörigen einfach in Teilzeit arbeiten. Manchmal machen diese Menschen das aus ganz privaten Gründen (mehr Freizeit usw.), manchmal aber auch in der Einsicht, dass sie eine Vollzeitstelle nicht bewältigen können. Trotzdem sind diese Lehrkräfte ein wichtiger Teil der Kollegien und sie verrichten ihre Arbeit mit Sicherheit nicht schlechter als die Vollzeitler.

Bei ersteren ist es schwierig, die Gewährung zurückzunehmen. Bei den „voraussetzungslosen“ schlummert hingegen so viel ungenutztes Potential! Nun, wer die Gründe versteht, weiß, dass das nach hinten losgehen muss.

Was nützt mir auf dem Papier eine Lehrkraft, die ich ab sofort mit 28 statt 14 Stunden einsetzen kann, wenn selbige in der Folge häufig längerfristig ausfällt. Lieber den Spatz in der Hand, – Sie wissen schon!

zu 3:

Zu den Abordnungen ist zweierlei zu sagen. Einerseits haben die meisten Lehrkräfte den Status eines Beamten mit allen Vorzügen, die das mit sich bringt. Einer der Nachteile ist nun, dass der Dienstherr abordnen darf. Die Praxis war in der Vergangenheit davon geprägt, dass niemand gegen seinen Willen (von Ausnahmen mal abgesehen) versetzt bzw. abgeordnet wurde.

Was nützt mir eine Lehrkraft… – den Rest des Satzes könne Sie selbst ergänzen.

zu 4:

Selbstlernzeiten, segeL (selbstgesteuertes Lernen) oder wie es auch immer heißen mag, dazu die Lehrer als „Lernbegleiter“ – gibt es Menschen, die diesen Unsinn wirklich propagieren? Augenscheinlich schon.

Ich könnte einen eigenen Beitrag zur zentralen Rolle des Lehrers (ja, und auch der Lehrerin – wobei die Nutzung des generischen Maskulinums ihrerseits eines eigenen Beitrages würdig wäre) schreiben.

Die Realität zeigt mehr als deutlich, dass diese Ideen falsch sind und nur in wenigen Fällen begrenzt auf ein bestimmtes Alter oder eine bestimmte Leistungsgruppe funktionieren. Der Vorschlag beinhaltet, dass Kinder häufiger allein (also ohne Anwesenheit eines Erwachsenen) lernen sollen. Machen Sie sich Ihre eigenen Gedanken, wie gut und effektiv das funktionieren kann.

zu 5:

An der Realschule in NRW gilt eine Klasse mit 27 Kindern mit einer Bandbreite von 25 bis 29 als zahlenmäßig normal (Klassenfrequenzrichtwert). Dieser Wert darf bereits jetzt unter bestimmten Bedingungen um fünf überschritten werden.

Wer einmal vor einer achten Klasse mit 34 Schülerinnen und Schülern stand, hat als einziger das Recht, hier mitzureden!

Was die Überlegungen nicht beinhalten, ist die schlichte Tatsache, dass vielerorts die Räume zu klein sind. Für jede Person im Raum müssen 2 qm zur Verfügung stehen, wobei unter den pädagogischen und organisatorischen heutigen Bedingungen dieser Wert als zu klein angesehen wird.

Klassenräume sind meist zwischen 50 und 60 qm groß und demzufolge für 25 bis 30 Personen ausgelegt. Denken Sie es selbst zu Ende, es ist keine höhere Mathematik.

zu 6:

Wenn ich bedenke, dass Pädagogik, Didaktik und (in meinem Fall sogar) Psychologie Teile eines Regel-Lehramtsstudiums sind, dann gibt es dafür gute Gründe.

Ich möchte zunächst eine Lanze für meine Seiteneinsteiger brechen. Sie sind gute Lehrer. Woran mache ich es fest? Sie agieren im Unterricht und in der Erziehung in gleicher Weise wie die Vollerfüller (ja, so heißt das).

Zugangsvoraussetzungen zum Seiteneinstieg sind ein universitärer oder gleichgestellter Abschluss in einem schulrelevanten Fach sowie eine „pädagogische Einführung“. Bestenfalls können Seiteneinsteiger eine dem Referendariat gleichgestellte Ausbildung absolvieren, um im Ergebnis dessen das zweite Staatsexamen zu erhalten.

Nehmen wir einfach eine andere Branche – die Medizin. Würden Sie sich von mir, der ich ab sofort dank „medizinischer Einführung“ als Hausarzt praktiziere – auf dem Land ist echter Mangel – behandeln lassen? Im Idealfall habe ich ein Biologiestudium absolviert, was ja nun wirklich relevant ist, oder?

Ich vergleiche Äpfel mit Birnen? Nein, das tue ich nicht. Schon die Altvorderen wussten:

Schuster bleib bei deinen Leisten.

Aber wer weiß heute schon noch, was das bedeutet, ganz zu schweigen davon, was ein Leisten ist.

Ein Bemerkung möchte ich abschließend dazu machen: Wenn schon Seiteneinstieg, dann bitte richtig! Die Quereinsteiger benötigen weit mehr als nur ein paar Veranstaltungen zur Einführung in die Pädagogik. Auch wenn das bedeutet, dass sie sich berufsbegleitend einige Zeit (Jahre) zusätzlich fortbilden müssen.

Da wir Lehrerinnen und Lehrer aber mittlerweile zu „Lehrenden“ „herab-gegendert“ (der Deppen-Bindestrich muss wegen der Lesbarkeit leider sein) werden, braucht das aber eh niemand mehr.


Die Not ist groß, das sehe ich ein. Wo mir aber die berühmte Hutschnur hochgeht, ist, wenn die Lehrkräfte in den Schulen die Versäumnisse der Politik ausbaden müssen.

Der Beruf des Lehrers hat an Attraktivität eingebüßt. Vielleicht liegt die Ursache in einem defizitären Schulsystem, dessen Lehrkräfte an der Belastungsgrenze arbeiten und gleichzeitig kaum Wertschätzung (auch gesamtgesellschaftlich) erfahren. Möchten Sie einen solchen Beruf ergreifen? Da gehört schon viel Optimismus (oder Masochismus?) dazu.


Es gibt eine weiteren Publikation (https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/pdf/KMK/SWK/2023/SWK-2023-Gutachten_Lehrkraeftebildung.pdf), zu deren Inhalt ich mich hier nicht äußern werde.

Ich möchte statt dessen daraus zitieren, die Interpretation dessen, was Sie da lesen, überlasse ich Ihnen.

In den wenigen Längsschnittstudien zu Studienerfolg bzw. -abbruch im Lehramt (z. B. PaLea-Studie, Lehramtskohorte des NEPS, Studienerfolg und -misserfolg in Mecklenburg-Vorpommern) werden strukturelle Hindernisse (z. B. Prüfungslast, Überschneidung von Lehrveranstaltungen) nur vereinzelt als Abbruchgrund untersucht. Dabei weisen Hartl et al. (2022) darauf hin, dass Maßnahmen zur Veränderung von Studienbedingungen ein wirksamer Hebel sind, um einem Studienabbruch entgegenzuwirken und das Wohlbefinden der Studierenden zu steigern, z. B. durch eine transparente Informations- und Beratungsstruktur, Mentoringstrukturen, Tutorienangebot (insbesondere im MINT-Bereich), die systematische Stärkung kooperativer Arbeitsphasen in der Lehre, Gelegenheiten für individuelles Feedback und die Vermittlung von Bewältigungsstrategien für den Umgang mit schwierigen Situationen in der Ausbildung.

ebenda, S. 49

Kohärenz ist in mehrfacher Hinsicht eine grundlegende Herausforderung in der Lehrkräftebildung. In diesem Kapitel werden drei Herausforderungen skizziert, die für einen kumulativen Kompetenzaufbau bei angehenden Lehrkräften besonders relevant sind: die Kohärenz des Curriculums der Lehrkräftebildung in Bezug auf die fachlichen, fachdidaktischen und bildungswissenschaftlichen Anteile, die Integration von Querschnittsthemen und die Kohärenz zwischen erster und zweiter Phase.

ebenda, S. 60

Die häufig von Studierenden geäußerte Forderung nach mehr Praxis wird von unterschiedlichen Autor:in-
nen kritisch betrachtet (Hascher, 2014; König & Rothland, 2018; Terhart, 2001). Die reine Ausweitung von
Praxisphasen führt nicht notwendigerweise zu einer besseren Professionalisierung (Lawson et al., 2015;
Rothland & Boecker, 2015). Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass weniger die Dauer als die Qualität der Praktika für ihre Wirksamkeit entscheidend ist (Biermann et al., 2015; König et al., 2018; Lawson et al., 2015).

ebenda, S. 63

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Von sp

4 Gedanke zu “Lehrermangel – nichts Neues”

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